Soundmodell auf der Basis der Motown- Traditionen, des Philly Sound (1972) und des afroamerikanischen Funk, das sich im Zusammenhang mit einer Diskotheken-Renaissance Mitte der siebziger Jahre in New York herausbildete. Diese Renaissance der Diskotheken, die während der Twist Ära in den USA schon einmal eine Hochzeit hatte (1964 soll es in den USA schon 5000 Diskotheken gegeben haben), ging von Afroamerikanern, Puertoricanern und Schwulen aus. Zumeist in alten Lagerhäusern begannen sie wieder mit Non-Stop-Musik von der Schallplatte und legten damit den Grundstein für einen regelrechten Tanzkult, der sich dann in Privatklubs und teuren Etablissements für die Schickeria von New York zu einer Phantasiewelt aus Licht entfaltete. Die wohl bekanntesten sind das Pariser "Le Palace", das Londoner "Heaven" das Berliner "Metropol" sowie die New Yorker Diskothek "Studio 54" ("Studio 89" wurde zum Teil nach "Studio 54" benannt) Bilder vom Studio 54 von 2011. Dieser Tanztempel nahm eine Schlüsselposition in der Discoszene ein. Das 1927 als Opernhaus konzipierte, aber als solches nie genutzte fünfstöckige Gebäude, wurde in der Hochzeit der Discoära auch "the headquaters of the World Discotheque Movement" genannt (aus dem Wort Discotheque entstand kurz Disco). Das Gebäude mit 40 Tanzflächen, gelegen an der 54th Street in Manhattan, fasste 1100 Tanzwütige und wurde am 26.04.1977 als Disco eröffnet (1986 geschlossen). Mit seiner Ausstattung (250 000 US$ Lichtanlage) setzte diese Location lange Zeit Maßstäbe unter den Discotempeln der Welt. Wonach hier getanzt wurde, was hier als Tanzmusik angenommen wurde, das war Disco Music.
Das folgende Zitat aus dem Buch "Gut Aufgelegt"
von Dirk Duske
spiegelt am ehesten die Stimmung eines guten Gigs wieder: Im Bann von Leavens betäubendem Mix schienen die Leute menschliche Grenzen zu überschreiten. Männer krochen wie Hunde, während andere sich verrenken und herumsprangen, als könnten sie fliegen. Nach einem 24stündigen ununterbrochenen Marathon stand eine erschöpfte Menge vor Leavans DJ-Pult und bettelte ,Mach weiter!'.
Afroamerikanische Popmusik erwies sich als Ideal für diesen Kontext. Zu den ersten kommerziell erfolgreichen Titeln, die explizit auf diesen Zusammenhang reagierten und die als der Grundstein der Disco Music galten, zählen: Gloria Gaynor's "Never can say goodbye", George McCrae's "Rock your Baby" und Hues Corporation mit "Rock the Boat" (alle 1974). Für eine elitäre Schicht von Jungmillionären, Pop- und Leinwandstars wurde Disco so zum Lebensstil, zu einer fast rituellen Freizeitkreation, die sich rasch als Massenmethode etablierte.
Eine große Rolle spielte später dabei der Film "Saturday Night Fever" (1977), der mit John Travolta in der Hauptrolle und einer hauptsächlich von den Bee Gees getragenen Filmmusik den Glamour der Disco- Welt, die Faszination eines hemmungslosen Tanzvergnügens und die sinnliche Attraktivität körperlichen Selbstausdrucks weltweit einem breiten Massenpublikum nahe brachte. Später folgten weitere Filme "Grease", "Thank God, it's Friday" und "American Hot Wax". War die Diskothek von New Yorks Schickeria als Luxusspielwiese zum Ausleben ihrer Phantasien, als reizstarkes Gegenmittel gegen ödende Langweile übersättigter Snobs okkupiert worden, so wurde nun daraus ein Massenzufluchtsort aus der Alltäglichkeit, eine irreale Scheinwelt des Vergnügens als Kompensationsmittel für einen unbewältigten Alltag.
Aus gängigen Tanz- Hits, entstanden spezielle Disco-Versionen. Unterlegt mit einem vorwärtstreibenden, unsynkopierten 4/4-Beat, angereichert mit Perkussionseffekten und vor allem verlängert durch ausgedehnte instrumentale Zwischenpassagen, erfuhren sie eine optimale Anpassung an den Gebrauchszusammenhang in der Diskothek. Diese Disco- Versionen verselbständigten sich dann zur Schablone, die fortan die Basis für die Massenfabrikation von Disco Music abgab. Grundprinzip der Discomusik ist das permanente Animieren zu rhythmischer Körperbewegung. Das herausragenste Kennzeichen dessen ist aufnahmetechnischer Natur und sorgt mit einer künstlichen Tiefenbetonung sowie hallfreier, "trockener" Aufnahme vor allem von Schlagzeug und Bass für größtmögliche Präsenz des gleichmäßig pulsierenden Disco-Beat (120-130 Taktschläge/Min) im 4/4 Metrum auch bei Abstrahlung in größere Räume. Abgehackte, springende Bassformeln in Funky- Manier, diverse Perkussionseffekte und ein Streicherbackground als klangliche Mittel, bilden zusammen mit dem typischen Disco- Beat eine klanglich- rhythmische Gesamttextur, in der der floskelhafte Gesang als Melodieträger eher im Hintergrund steht. Entscheidend ist hier nicht der Song, sondern das Endlos- Kontinium einer motorisch animierenden, mitreißenden, aber zugleich der phantasievollen Entfaltung körperlicher Bewegung im Tanz Raum gebenden Funktionsmusik für die Diskothek. Selbstgenuss in der Bewegung, ein technisch perfektes Klangerlebnis, verbunden mit vielfarbigem Licht-, Lasereffekten und künstlichem Nebel, ein Kult der Bewegung und ein Kult des Phantastischen, in der Innenarchitektur wie der Kleidung, abgeschottet gegen die Alltäglichkeit der Realität - für all das stand der Disco Sound, der damit weit mehr als nur Musik war, sondern wesentlich auch eine bestimmte Atmosphäre verkörperte. Dafür typische Titel sind Bee Gees "Saturday Night Fever" 1977 und Trammps mit ihrem "Disco Inferno" 1977.
In Deutschland waren es vor allem das Trio The Silver Convention, Donna Summer's Stönorgie "Love to love you Baby" 1975 (prod. in einem Studio an der Isar) und Boney M. Der DJ erlangte in diesem Prozess eine immer prägnantere Rolle, weg vom einfachen Plauderer und Plattenaufleger, hin zum Performer, der keine Platten, sondern Vinyl spielte. Er verfremdete die Klänge der schwarzen Scheiben mit der Technik des Scratchings und allerlei Soundzutaten vom Band oder dem Samplinggerät. Diese DJ's wurden Stars, deren Namen noch heute klingen: Jellybean, David Morales, Afrika Bambaataa oder WestBam (Deutschland). Denn, auch in Deutschland wurde das Zusammenstellen von Tanz- Hits zum Disco- Medley (siehe siehe Studio 89) praktiziert (dem in amerikanischen Diskotheken kunstvollen Zusammenfahrens unterschiedlicher Titel ähnlich), so dass der Disco Sound keine Angelegenheit der amerikanischen Musikindustrie blieb.
Gewiefte Manager und profilhungrige Szene Kids gaben fortan der Dancemusic phantasievolle Namen, als handele es sich um aufregende neue Markenartikel. Von Chicago aus wurde die House Music propagiert, in London grassierte der Electro Beat, aus Ibiza schwappte der Balearic Beat und die Hip Hop & Graffitiszene wurde kurzerhand zum Breakdance. 1979 fand in einem Stadion die Demolition Night statt, bei der Disco Platte in die Luft gesprengt wurden. Disco war ausgereizt, aber nicht am Ende. Nach, oder besser neben der Discoszene etablierte sich Ende der 1970er ein Sound dem Evelyn Thomas einen Namen gab, "High Energy". Diese Musik war schneller, kam ohne Bläser oder Streicher, ja ohne Musiker aus, was die Produktion total verbilligte. Gearbeitet wurde hier mit dem Lynn Drum, Sequenzern und Drum Computern. Gefragt waren Produzenten und DJs wie z.B. Patrick Cowly aus SF. Er produzierte Sylvester und arrangierte I Feel love von Giorgio Moroders Schützling Donna Summer neu. Kurz danach starb er an einer neuen Krankheit, deren Name er nicht mehr erfuhr: Aids.
Um 1981 kamen auch die Holländer groß ins Rennen. Mit ihren Medleys à la "Stars on 45" starteten sie auch in Deutschland einen Siegeszug. Die markantesten Stellen aus bekannten Titeln wurden zusammengestellt, gesanglich imitiert und durch das gleichmäßige Pochen der Großen Trommeln miteinander verknüpft (Abba-, Beatles-, Beach Boys- Medleys). Die Produktion von Musik, eigens für den Einsatz in Diskotheken setzte sich jedoch fort. Unzählige Produzenten drängten auf den Markt, einer von ihnen, Bobby Orlando. Er produzierte 100te Titel, teils unter Synonym oder unter Bobby O. Aber sein schillerndstes Projekt war Devine. Ein Fleischberg von einem Mann in Frauenkleidern. Jeder weiß, die 80er brachten eine Unzahl von Aufnahmen auf den Markt auf deren namentliche Nennung ich hier verzichte.
In New York entstand 1980 schließlich Konkurrenz zum Studio 54, The Saint. Dort wurde der High Energy Sound gespielt während im 54 noch Disco lief. Das war allerdings nicht der ausschlaggebende Punkt warum nur kurz später das Studio 54 schließen musste. Ende der 1980er war auch das Ende von High Energy vorhersehbar. Zahllose artverwandte Untergruppen tauchten auf, ich erinnere mich an Trans oder House (die Abkürzung vom Entstehungsort, dem Warehouse), ohne Stimmen und mit monotonen Rhythmus. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Es ist kein Wunder, wenn
nach über 50 Jahren die Diskoszene noch immer fortlebt und ständig neue
Kreationen und Namen hervorbringt. Sei es auch "nur" in den Clubs, Tanzpalästen
oder Megamixen.
Legendärer Tanzpalast auf der 54.Strasse in New York. Im April 1977 eröffneten die Entrepreneure Steve Rubell (starb 1989) und Ian Schrager für angeblich eine Million Dollar Umbaukosten in einem heruntergekommenen Theater eine Nacht- und Neonzone des hochphonigen und todschicken Amüsements. Studio 54 avancierte weltweit zum Inbegriff hedonistischen Großstadt- Entertainments. Die mit Vorsatz diskriminierende Türkontrollen zu überstehen und Einlass zu den 2000 Reichen und Ruhmsüchtigen zu gewinnen, zählte einige Jahre lang zu den Wunschträumen vieler New York - Besucher. Im Februar 1980 wurde das Disco Dorado dichtgemacht, da die Besitzer wegen Steuerbetrugs für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis wandern mussten. Studio 54 wurde in der Folgezeit von wechselnden Besitzern wiedereröffnet, konnte aber an frühere Glanzzeiten nicht mehr anknüpfen, da die schicke Clique Manhattans längst zu neuen Amüsier-Showplätzen (Limelight, Area) abgewandert war. Bilder Studio 54
Ein Beitrag entdeckt auf der Seite www.hotdiscomix.de
Ich habe folgenden Artikel in der Berliner Morgenpost gelesen: Das "Studio 54" kommt nach Berlin. Ableger des legendären Nachtclubs soll bis zum Ende des Jahres eröffnet werden - Joseph Jackson auf Locationsuche in der Stadt Von Anja Popovic (2006)
In den 70er Jahren war es in New York die Top-Adresse für alle, die sehen und gesehen werden wollten: das legendäre "Studio 54" in West-Manhattan. Noch in diesem Jahr soll die Legende auferstehen - als Nachtclub in der deutschen Hauptstadt. Joseph Jackson, Oberhaupt des Jackson-Clans, ist nach Berlin gekommen, um sich mit Vertretern von "MGM Grand" eine Woche lang auf Location-Suche zu begeben. In Las Vegas gibt es bereits eine Diskothek "Studio 54" im Entertainment-Tempel "MGM Grand" Hotel. In Berlin soll erstmals eine Lizenz für ein "Studio 54" außerhalb Amerikas vergeben werden. Jackson engagiert sich als Mitglied des Vorstandes der Beteiligungsgesellschaft "Ricercar" an dem Mega-Deal. "Die Zeit ist reif für ein Studio 54 in Berlin", sagte gestern auch Mike Milner, Chef des Nachtclubs in Las Vegas. Die Rechte für den Namen "Studio 54" habe man Anfang der 90er Jahre erworben. "
Das MGM Grand hat das Phänomen des Studio 54 zurückgebracht", heißt es in einer Erklärung. "Noch einmal können Menschen aller Klassen, Rassen und Kulturen unter einem Dach gesellschaftlich verkehren." Das originale Studio 54 in New York war ein Happening, ein dröhnender Zirkus, ein Schauplatz für Hedonisten und Voyeure, die nicht nur gesellschaftlich verkehrten - im Keller ging es zur Sache. Ihre Glanzzeit erlebte die "Mutter aller Nachtclubs" in den späten 70ern.
In dem ehemaligen Fernsehstudio - eine Mischung aus Bühne und Fabrikhalle - tanzten Pop-Art-Künstler Andy Warhol, Leinwand-Diva Liz Taylor, Boxweltmeister Leon Spinks, Kunstsammler Mick Flick, die Designer Calvin Klein, Karl Lagerfeld und Paloma Picasso, Michael Jackson, Schriftsteller Truman Capote und die Showstars Grace Jones und Rod Stewart. Bob Colacello, langjähriger Mitarbeiter von Warhol, sagte in einem Spiegel-Interview über das Studio 54: "Es wurde zum Symbol des Exzesses. Jeder tanzte mit jedem. Männer mit Männern, Mädchen mit oben nichts, Transvestiten auf Rollschuhen, Liza Minnelli mit Diana Ross und dazwischen der europäische Hochadel." Mitte der Siebziger, so Colacello, hatten sich die sexuelle Befreiung, die Emanzipation der Frau, das Aufbegehren der Homosexuellen durchgesetzt. "Es war die Reaktion auf dreieinhalb Jahrhunderte Puritanismus in diesem Land, eine Zeit, die mit der Verbreitung der Pille begonnen hatte und die mit Aids endete."Schlaglichter einer Legende: Im April 1977 eröffneten Steve Rubell und Ian Schrager das Studio 54. 1978 ritt Bianca Jagger auf einem weißen Pferd auf die Tanzfläche. Und noch eine Pferde-Geschichte erzählt man sich: Anläßlich einer Halloween-Party mieteten sich zwei Frauen ein Pferd und trabten damit nackt vor dem Eingang vor. Rubell kommentierte: "Das Pferd kann rein, ihr bleibt draußen."
Ende 1979 war die Party dann ganz vorbei: Der Club wurde wegen Steuerhinterziehung und wohl auch wegen Drogenmißbrauchs geschlossen. Spätere Versuche, dem Studio am Originalschauplatz zu altem Glanz zu verhelfen, scheiterten. In Las Vegas, so die Abgesandten gestern, laufe das Geschäft im "MGM Studio 54" hingegen hervorragend. Berlin halten Jackson und Co. für "die Hauptstadt Europas". Deshalb soll das legendäre Studio 54 hier wieder auferstehen. Bleibt nur noch die Frage, wer nackt aufs Pferd darf.
Nachgehakt: Was wurde aus Studio 54 in Berlin?
Ende 2007 habe ich mich informieren wollen was aus dem Berliner Studio 54 wurde. Mai 2006 eröffnete in der Berliner Kantstraße tatsächlich das "Studio 54 Ultra Lounge". Ein Flop und nun auch noch der Artikel aus der Berliner Zeitung. Dort heißt es: "Die Marke
Studio 54 gehört dem MGM Grand Hotel in Las Vegas, das weltweit als einziger Klub an das original
Studio 54 in New York aus den 70er-Jahren erinnert und dessen Namen trägt. Taucht das Logo in der Kantstraße weiter auf - und sei es nur auf Servietten, Veranstaltungskalendern oder der Speisekarte - drohen bis zu 250 000 Euro Strafe oder bis zu sechs Monaten Gefängnis." Aus der Traum?
Stand 2014: Es scheint, als gäbe es nun tatsächlich kein 54 in Berlin. Zumindest ernsthafte Spuren sind nicht nachvollziehbar. Währenddessen wurden Originale aus dem New Yorker Studio 54 versteigert. Unter den Hammer kamen für mehr als 300000 Dollar u.a. eine Metallstatue, Fotos, Gästebuch, Lampen, Tische, Stühle und sonst. Einrichtungsgegenstände.
Update 2017: Keine aktuellen Spuren des Studios in Berlin. Eine Facebookseite endet 2015, seither keine Kommentare.
Update 2019: Zwar heißen nun viele Einrichtungen Studio 54, so in Prag, Rom und auch Deutschland. Ein Neuanfang einer Diskothek mit diesem Namen ist jedoch nicht in Sicht.
Update 2022: In Tschechien öffnete ein Studio 54.
Ende
"Das Angebot für Disco- Fans ist groß, doch die besten Platten bekommt man gar nicht zu hören."Als George McCrae 1974 mit "Rock your Baby" einen Welterfolg hatte, wurde seine Musik- Masche nach dem Produktionsort der Platte als "Miami- Sound" angepriesen. Inzwischen kommt sich der Disco- Fan im Plattenladen wie vor einem Waschmittelregal vor: er kann zwischen Philly-, Munich-, New York- und Salsoul- Sound wählen, obwohl sich die Produkte zum Verwechseln ähnlich anhören. Aber deshalb hat sich die Disco- Mode noch lange nicht totgetanzt. Eklektizismus ist das neue Zauberwort - die raffinierte Mischung von Musikstilen, denen man eigentlich eine Liaison gar nicht zutraut. Was in der letzten Saison Dr. Buzzard's Original Savannah Band bot, frischt auf dem gleichen Label (RCA) die New Yorker Gruppe Odyssey nun auf: ein wenig Mamas and Papas, bewährte Swing-Big-Band-Muster und natürlich der hypnotisierende Disco- Beat. Die Single "Native New Yorker" aus dem Album "Odyssey" wurde ein Hit. Ebenfalls mit Verspätung kommt ein Album zu uns, das den vorwiegend bisexuellen Disco- Freaks von Greenwich Village (New York) bis Castro Street (San Francisco) gewidmet ist. Die vier Songs "San Francisco", "In Hollywood", "Fire Island" und "Village People" der Ritchie Family- LP "Village People" bringen auch die müdeste Party noch auf Volldampf. Das karibische Fotomodell Grace Jones hatte bei uns Pech: ihre Super- Sommer- Single "I need a Man" kam hierzulande nie heraus, obwohl sie in Europa Furore macht. Nun hat die aparte schwarze Lady ihr erstes Album "Portfolio" (Islands ilps9470) nachgeschoben.Ganz untergegangen ist eine virtuose deutsche Produktion. Pete Belotte, Partner von Giogio Moroder, und Keith Forsey, Drummer für Donna Summer, haben als Duo Trax die LP "Watch Out" (Polidor) eingespielt. Die Lunte wird auf Seite A gelegt: "Watch out for the Boogie Man" (15 Min) ist Tanz- Ekstase- Elexier und Ohrwurm gleichzeitig.Diese Musik käme bei vielen Rock- Fans kaum in Misskredit, wenn die besten Platten leider nicht nur Import- Ware blieben. Wie ich im Beitrag "Barry Graves - Der Mythos" schon schrieb, kannte sich Barry bestens aus, was Musikströmungen und Trends betraf. Regelmäßig schrieb er, - ja dozierte über Musik. Nicht zu letzt sein Fachwissen, das er in sein "Rock Lexikon" einbrachte, machten ihn zu einen bekannt- begehrten Kritiker.
Barry Graves' magazin:
Es war von vornherein klar, daß Disco niemals "tot" sein könnte. Dazu war dieses schillernde Klang- und Rhythmusgebilde zu sehr in Soul, Rock, Elektronik und Avantgarde-Sounds verzahnt, als daß es das Schicksal von Madison, Limbo und Twist erleiden würde. Aber die Leidenschaftlichkeit, mit der Rock-Fans Disco attackierten, machte schon damals stutzig; heute wissen wir Bescheid: Disco gab sich ungeniert als vordergründiges Entertainment, während Rock immer noch dem Selbstbetrug anhing, er sei eine Musik, die etwas auszusagen habe und deren Musiker so etwas wie Wortführer ihrer Generation sein. Rock als Transportmittel für politische Inhalte ist heute mehr den je unglaubwürdig, die meisten Rock-Stars sind viel zu sehr in Drogen-Exzessen, Superstar-Wohllebe und
Showbusiness-Zwängen versunken, um noch von irgendeiner Relevanz für unser Leben zu sein. Rock ist heute so politisch (unpolitisch) wie moderne Klassik, Jazz, Avantgarde-Elektronik. Disco hat das alles ja nie für sich beansprucht. Disco war kalkulierte Weltflucht, Wochenend-Trip, Amüsement, Show, Glitter. Und die Initiatoren auf der Publikumsseite waren Schwarze und Schwule, Gettokreise, denen die Rock-Machos nie sonderlich zugetan waren. Kein Wunder, daß niemand auf die Musik hörte, sondern die schicke Oberfläche mit der vorgeblichen Tiefgründigkeit des Rock vergeblich und dann erbarmungslos zerkratzte. So ganz übel kann aber Disco nicht gewesen sein, denn heute gibt es kaum eine Band, die sich nicht mit der von Disco geprägten Rhythmus- und Sound-Chiffren bedient -seien es Veteranen wie die Stones, David Bowie, Queen, Doobie Brothers oder Steve Winwood, New Wave Acts wie Police, Clash, Talking Heads, Devo, The Jam Visage. Zahlreiche britische Bands der neuen Welle geben ungeniert zu, daß Giorgio Moroder einer ihrer Einflußgeber gewesen ist, andere schwören auf Baß- und Gitarrenabmischungen von Chic. Disco hat 1980 als "Dance-Music", "Fusion Sound" oder "Rock-Disco" ein glänzendes Comeback erlebt. Weil Disco nun wieder da ist- ohne dumme Vorurteile- weil nun endlich die Ohren aller Musikfans offen scheinen für die Musik und nur die Musik, soll dieses Disco-Special allen, die sich noch vor drei Jahren von Negativ-Propaganda bedröhnen ließen, eine Übersicht geben, was bisher in diesen Genre so los ist.
Neue Tanzpaläste mit Multi- Media- Effekten, wie das „Hendersen“ in München, hypermoderne Diskotheken- Projekte, wie das „Studio 54“ in Hamburg und das „Dorian Gray“ in Frankfurt, Discomusik (mit den Bee Gees oder Donna Summer) auf den deutschen Hitlisten und ein Riesenzulauf für die Travolta- Filme „Nur Samstag Nacht“ und „Schmiere“ – das alles signalisiert: Ein in den USA grassierender neuer Tanz- und Glitzermodekult hat Deutschland erreicht Noch vor wenigen Jahren war es fast ausschließlich das – von kopfschüttelnden Eltern bespöttelten oder eifernd bekriegte – Feierabendvergnügen der Gott Beat verfallenen Jugend. Zu einem frenetischen Tagesauslang tauchte sie in katakombenartigen Tanzschuppen und Popkellern unter, die für Uneingeweihte den Eindruck elektronischer Folterkammern machten: Aus Lautsprecherbatterien hämmerte entnervender Schallplattensound auf die Tanzenden ein, während grelle Lichtgewitter dazu eine gespenstige Illumination lieferten.
Das Hip- Volk von Anno dazumal war bei seinem von hochdozierten Psychedelic- Reizen stimulierten Nachtleben immer schon reichlich untermischt mit Fremdkörpern aus bürgerlichen Lagern. In den späten siebziger Jahren haben nun- Tendenzwende auch im Entertainment- die Amüsier- Zaungäste und- Mitläufer von einst mobil gemacht. Sie geben jetzt den Ton an: die angepassten Adretten, die nur mal rasch für ein kurzes Saturday Night Fever ausklicken, um dann wie neu geölt und abgeschmiert wieder in den grauen Trott zurückzukehren, den sie sich Samstag Nacht aus den Gliedern schüttelten. Ihre „Religion überall auf der Welt heißt Disco“, weiß die Sängerin Amanda Lear, auf der neuen Welle jetzt aus dem Underground ins Glamourlicht hochgejettete Disco- „Queen“. Passé, altmodisch sind die ruchhaften, existentiell ernstgemeinten- dann zu ernst gewordenen- Ausflipp- Exerzitien der Sechziger- Jahre- Generation, ebenso, wie ihr Zottel- und Lotter- Look und ihre weltanschaulich hämmernde Rockmusik.
Im Kontrast zur wieder neuen Konformismus und neue Langweile zeugenden Protestkultur drängt jetzt Disco vor als Ausdruck provozierenden Disengagements, totaler Frivolität und verspielter Oberflächlichkeit- ein Rokoko in Pop- Tönen, Bonbon- Licht und Knall- Farben. Gehuldigt wird dem neuen Gott Disco in gigantischen Diskotheken- Schöpfungen, wie dem jetzt schon legendären New Yorker „Studio 54“ Sie sind ins Überdimensionale gesteigerte Kopien des verrufenen Beatlokals von gestern, aber befreit von jeglichem individuellen Stallgeruch: perfektionistisch, clean, hochtechnisiert- ausgestattet mit Multi- Media- Effekten, als sollte Hollywoods bombastischen Weltraum- Spektakeln „Krieg der Sterne“ und „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ Konkurrenz gemacht werden. Der Hauptherd des Discofiebers liegt, versteht sich, in den USA. Die von stereotypen Ta- ta- tum- Rhythmen orchestrierte Tanzwut hat sich dort nicht nur innerhalb eines Jahres zu einem wahren Volkssport gesteigert. Disco ist auch bereits zu einer Milliarden- Dollar- Industrie geworden.
Die neue Mode, vom Filmhit „Nur Samstag Nacht“ mit John Travolta und dem millionenfache verkauften Filmsoundtrack der Bee Gees erst richtig populär gemacht, ist der am stärksten durchschlagende Trend in der Freizeitkultur seit der Pop- und Beatles- Begeisterung Anfang der sechziger Jahre. Wie in Supermärkten schießen überall in den USA die neuen Tanz- und Amüsier- Arenen aus dem Boden. Und es ist nicht mehr nur das Privileg der Upper Ten von Manhattan, am Disco- Ritus teilzunehmen- jenem abstrus anmutenden Vergnügen, sich Alltagsfrust und überschüssige Energien in einem Licht- und Musik- Inferno an der Grenze der Verträglichkeit vom Leib zu tanzen. Mehrere Diskotheken im neuen amerikanischen Superformat wird es bald auch in der Bundesrepublik geben, wo schon die Disco- Musik die Hitlisten fast so okkupiert hat wie in den USA. Und in München floriert bereits eine hypermoderne Tanzscheune, der Club „Hendersen“, die dem „Studio 54“- mit bescheidenerem Aufwand nachzueifern versucht. Das „Studio 54“, seit eineinhalb Jahren in Betrieb, ist nicht nur die berühmteste der neuen Diskotheken. Die extravagante Nachthöhle durch ihre mondäne Klientel aus Show- Business und Jet- Set und ein paar Skandale in die Schlagzeilen gekommen- bietet auch mehr Disco- Spektakel als jede andere Tanzdiele: ein Optimum raffinierter und monströser „Disco- Technologie“. Soeben wurde die völlige, eine halbe Million Dollar teure Neugestaltung des Etablissements abgeschlossen, dessen komplizierte Lichtmaschinerie in der Erstversion allein eine Viertelmillion Dollar verschlungen hatte. Der Gast des „Studio 54“ erlebt in dem akustisch und optischen Bombardement nun das Disco- Inferno total. In der Mitte der Tanzfläche beträgt die Schallstärke der Musik 115 bis 120 Decibel- das entspricht dem Krach, den ein knapp über den Kopf hinweggeflogenes Düsenflugzeug erzeugt. Der Körper fängt allein durch den Lärm der Musik zu vibrieren an. Den so mit den aktuellsten Disco- His von Donna Summer, Sweet Cream und Macho stimulierten Tänzer erwartet noch weitere lustbringende Unbill, eine Serie optischer Sensationen. Unter ihnen 20 rotierende Hohlspiegel, die auf das Publikum den ekstatischen Lichterzauber projizieren, der sich aus dem Zusammenspiel einer Batterie wild pulsierender Leuchten und Spots bildet.
In exquisiten Momenten- beispielsweise zur Feier hervorragender Tanzleistungen- gibt es eine Art Tusch: in Gestalt eines Regens kleiner bunter Schaumgummibälle, die vom Diskjockey mittels acht Luftkanonen herabgefeuert werden. Besondere Nervenkitzel werden produziert, indem das riesige, dichtbevölkerte Tanzareal kurzfristig in weitgehende Dunkelheit getaucht wird und von hoch oben dann gewaltige Lichtkegel in die Menge strahlen und wie Leuchtturmlicht im Kreis wandern- es ist das Licht von vier unter dem Dach der Diskothek befestigten Spezialscheinwerfern, bei denen es sich um die Landesignallichter der Boeing 747 handelt. Mit ähnlich Spektakulärem versucht jetzt jede neue, im New Yorker Stil ausgerüstete Diskothek zu locken. Im „Xenon“, der neben „New York, New York“, größten Konkurrenz des „Studio 54“ in Manhattan, schwebt über den Tanzenden ein monumentales blinkendes Phantasie- Raumschiff. Gebaut hat es für 90 000 Dollar der Hollywood- Techniker Douglas Trumbull, Schöpfer der Trickeffekte von „2001“ und „Unheimliche Begegnung“. Seine intensivste Begegnung der dritten Art hat der Discophile aber mit sich selbst. „Vor jeder Diskothek“, so der Musikkritiker Albert Goldman, „sollte eine Statue für die herrschende Gottheit, Narziss, errichtet werden.“ Die Disco- Kultur sei ein genuiner Ausdruck des „kurzgeschlossenen, masturbatorischen Vibrator- Sex“ unserer Zeit.
Ob im New Yorker „Studio 54“, im Pariser „Palace“, wo Laser- Strahlen ein ehemaliges Theater in immer neue Tanz- Segmente zerlegen (wozu die Tanzenden den Rauch von Räucherstäbchen als Wolken beisteuern), im Münchner „Hendersen“ oder im „Pacha“ auf Ibiza: Die Disco- Szene gibt sich stets heißer und schärfer, als sie tatsächlich ist. Sie kultiviert eine Pseudo- Erotik, die nur scheinbar entfesselt und orgiastisch ist, sich in Wirklichkeit aber reduziert auf monomanen Selbstgenuss und schiere Selbstgefälligkeit. Wirkliche Sinnlichkeit und knisternde Intimität sind auf diesen elitären und teuren Tanzböden- ein Besuch im „Studio 54“ kostet 10 Dollar, im Pariser „Palace“ 60 Franc- abwesend, unterschwellige Posen und ein halbherziger Exhibitionismus Trumpf. Zeigt ein schönes Discoweib ihren blanken Busen oder lüftet es gar den Rock über bloßem Hintern- beides geschieht im „Studio 54“ öfters- dann bedeutet dies keine Aufforderung zu Handgreiflichkeiten, es ist schlicht nur ein kaltes Zeichen dafür, wie gewagt man sich geben kann, ohne Risiko.
Der Lust an tänzerischer Selbstbefriedigung kommt das „Studio 54“ in besonderem Maße entgegen: durch sogenannte „Unendlichkeits“- Effekte erzeugende Riesenspiegel, in denen sich der davor Tanzende zahllos oft wiedergespiegelt sieht. Solchen Service für Narzisse haben in weniger pompöser Ausfertigung viele Diskotheken installiert. Der wahre Disco- Akt ist nicht die (gern vermutete) Rückkehr zum erotisch gestimmten Paar- Tanz, der vornehmlich beim Walzer und Tango ein verhüllter, symbolisch vorweggenommener Geschlechtsakt war. Disco entfremdet vielmehr die Tanzpartner noch mehr voneinander. Im Extrem ist der wahre Disco- Akt die affektierte, säuerlich- ernste, unironische Ein- Mann- Show, wie sie John Travolta im Film „Nur Samstag Nacht“ ebenso virtuos wie lächerlich abzieht. „Nur Samstag Nacht“ machte Disco volkstümlich und John Travolta zum Idol der Teenager. John Travolta brilliert in dem Hollywood- Schmachtfetzen mit brillantine- verstärkter Vitalität als unbedarfter Vorstadt- Gigolo, der mit stenzigen, selbstgefälligen Tanzdemonstrationen bei Freund und Weib in der Disco Eindruck schindet.
Der Film wurde einer der größten Kinoerfolge- er spielte seit seiner Urraufführung Ende 1977 rund 110 Millionen Dollar ein- und gab der wieder nach konventioneller Sitte und Mode gierenden Konsum- Jugend ein Identifikationswort: Disco. Aus dem Amüsement privilegierter Bürger und Exzentriker wurde, gepuscht durch den Film, weltweit Teenager- Ernst. Immer mehr Jugendliche bekehren sich dazu, wieder Bügelfalte und ein geglättetes Hemd zu tragen, Creme ins Haar zu schmieren, ausgefeilte Tanzschritte einzuüben und ein extrovertiertes Gebaren zu versuchen- a la Travolta. Wer glaubt, dass nach „Nur Samstag Nacht“ Travolta und der Discofilm ebenso rasch, wie sie aufgetaucht waren, wieder in der Versenkung verschwinden würden, sah sich getäuscht. Ein halbes Jahr später konnte Travolta ein Comeback feiern, das nicht weniger Discofieber schürte und die Kinokassen klingeln ließ: mit dem Film „Grease- Schmiere“.
Seit 1972 am Broadway, war das 50er- Jahre- Nostalgie- Musical bereits einer der erfolgreichsten Theater- Hits, als Musik- Mogul Robert Stigwood die Filmrechte kaufte und es vom braven Hollywood- Nachwuchsregisseur Randal Kleiser mit Travolta und der Sängerin Olivia Newton John für die Leinwand adaptieren ließ. „Schmiere“, eher noch mehr die Teenager animierend als „Nur Samstag Nacht“, markiert die kommerzielle Zwangsehe zwischen Disco- und Rockmusik, wobei letzterer alle aggressiven Töne genommen wurden. Die Rebellen- Generation der James Dean Ära ist hier, ganz im Sinne der seichten Disco- Philosophie, zur harmlos- netten Popcorn- Jugend degeneriert, die nur Pennäler- Unsinn im Kopf und das Jucken in den Beinen hat.
Wurden etwa im James- Dean- Film „...denn sie wissen nicht, was sie tun“ die Mannbarkeitsriten der Jungen noch durch gewagte Autorennen ausgetragen, so findet das entscheidende Duell in „Schmiere“ natürlich auf dem Tanzboden statt. Und ebenso selbstverständlich gewinnt Sonny Boy Travolta wieder- jedoch nicht, mit einer wilden Rock’n Roll Nummer, sondern mit einem jener narzisstischen Solos, wie sie typisch für den Disco- Kult sind. Trotz Entenschwanz- Frisur und Petticoat- Mode, trotz all der- neuerdings bei den Jungen schicken Accessoires aus der verklemmt- beschaulichen Eisenhower- Ära spiegelt „Schmiere“ das problemlos- euphorische Lebensgefühl der Disco- Kids der späten 70er Jahre wider. Der „Nur Samstag Nacht“ – Erfolg bewirkte unter Filmproduzenten eine Disco- Hysterie. Billige, einfallsarme Filmchen wie „Gott sei Dank, es ist Freitag“ und „FM- Die Superwelle“ reihen wahllos Musiknummer an Musiknummer. Da kann selbst das altdeutsche Schnulzenkartell mit ärmlichen, billig Erotik und Disco mixenden Platten wie „Summer Night Fever“ mithalten.
Womit der Discofilm nicht zuletzt lockt: Bei ihm kann im Kinositz ersatzweise die Multi- Medien- Massage erlebt werden, wie sie sonst nur hochkarätige Super- Diskotheken bieten, und andererseits lockt der Discofilm mit gefälligen Bildern zu Plattenhits, die im Radio und in den Tanzdielen gerade en vogue sind. Die deutsche Produktion „Summer Night Fever“ kitzelt so mit aktuellen Erfolgssongs wie „One for you, one for me“ von La Bionda und „Follow me“ von der hermaphroditisch schillernden Amanda Lear den düpierten Zuschauer über die filmischen Dürftigkeiten hinweg. König des neuen Medienverbundes Film/Schallplatte ist der australische Rockmusik- Impresario Robert Stigwood, Produzent der Bee Gees und der Travolta- Filme „Nur Samstag Nacht“ und „Grease- Schmiere“. Sein cleveres Marketing, das er mit „Saturday Night Fever“ genau zum richtigen Zeitpunkt aufzog, verhalf dem Doppel- LP- Album mit der Filmmusik von den Bee Gees zu Rekordverkaufszahlen, wie sie die Plattenindustrie bislang nicht kannte.
Die „Saturday Night Fever“ Platten eroberten in fast allen Ländern der Welt, die angelsächsische Popmusik in den Läden führen, Spitzenplätze auf den Hitlisten, ob in Deutschland, Portugal, Brasilien oder Japan. Über 22 Millionen Exemplare der samig dröhnenden Disco- Klänge wurden verkauft, und Stigwood erzielte mit dieser Musik, die sich zur Verblüffung aller Medien- Gurus als hundertprozentig den Zeitgeist ins Gemüt treffender Sound erwies einen Umsatz von annähernd 300 Millionen Dollar. Mit ihren perfekt- melodischen Fieber- Rhythmen haben die Bee Gees einst auf Kaugummi- Beat eingeschworene Pop- Idole der späten sechziger Jahre, die Tanzmuffel der Rock- und Drogen- Ära jäh ins Abseits gesäuselt – „How deep is your Love“. Nach dem Rock’n Roll der mittleren fünfziger und dem Twist der frühen sechziger Jahre, nach kurzlebigen Tanztorheiten wie Madison, Slop, Letkiss und Monkiss hatten die drogeneuphorischen späten sechziger und ersten siebziger Jahre als auffällige Tanz- Neuerung lediglich das „idiot dancing“ zu bieten: das unkontrollierte Zucken oder Schlingern im Haschisch- und LSD- Vollrausch.
Vollends abgewürgt wurde wirkliches Tanzen, als sich die Jugendlichen immer mehr in Pop- Arenen und bei Rockfestivals zusammenpferchen ließen. Sie degenerierten zu bloßen Musikkonsumenten, denen Mick Jagger, Alice Cooper und David Bowie hoch oben auf der Bühne ein Spektakel der Körperentfesselung vorexerzierten, das staunend wahrgenommen, aber selten nachvollzogen wurde. „Wird der Rock jemals wieder das Tanzen lernen?“ fragte die „New York Times“. Mitte der siebziger Jahre- eine „neue Depression“ beherrschte die Schlagzeilen- war es schließlich soweit: Tanzen schien reif für ein Comeback. Aus einigen New Yorker Randbezirken sprang ein plötzlich grassierendes Discofieber- noch undomestiziert wie im Film „Saturday Night Fever“ authentisch festgehalten- ins Zentrum der Metropole, dem stets nach neuen Moden gierenden Manhattan, über. Erst dann nahmen sich die Medien des Phänomens an, und der mondäne Disco- Kult war geboren. Zu der Zeit hatte sich die einst blueslastige, häufig sozialkritische Soulmusik der Schwarzen unter dem Einfluss von Isaac Hayes, Curtis Mayfield, Barry White und anderen in einen süffigen Entertainment- Sound verwandelt: in einen motorischen, baß- und schlagzeugbetonten Tanz- Rock, der sich für Disco- Tänze eignete („Phillysound“) und binnen kurzer Zeit einen phänomenalen Boom erlebte. Orthodoxe Rockmusik- Fans wehren den Disco- Beat noch als „Plastik- Soul“, „Fließband- Musik“ und „Supermarkt- Pop“ ab. „Die Ablehnung von Disco zeigt doch nur“, urteilt dagegen John Rockwell von der „New York Times“, „wie sehr bei den Rock- Leuten schon die Arterien verkalkt sind“.
Disco prägt jetzt in den USA- und auch in der Bundesrepublik- zunehmend den Musikgeschmack. Sogar Bob Dylan, die Rolling Stones und der ehemalige Starsänger gegen den Vietnamkrieg, Country Joe McDonald, haben sich vom Discofieber anstecken lassen. Die Interpreten und Bands, die per Platte zum neuen Tanz aufspielen, sind mittlerweile Legion. Sängerinnen wie Donna Summer, Grace Jones und Amanda Lear wurden als Disco- Queens inthronisiert, und beinahe täglich tauchen neue Disco- Kometen auf mit flotten Namen, wie Johnny Guitar Watson, und verglühen ebenso schnell wieder. Sicher ist nur, so prophezeit der deutsche Branchendienst „rundy“, dass die harte Rockmusik von Disco- Sound verdrängt wird. Discomusik hat ganz im Gegensatz zur Rockmusik eine besänftigende Wirkung, selbst wenn sie extrem laut ist, sedierte sie- im Gedröhne des „Studio 54“, schreibt der „Esquire“, versinkt man in einem Multi- Media- Schaumbad. Disco massiert die Sinne, schmeichelt wie Satin, der einer der Lieblingsstoffe der Discophilen ist. Zu sagen hat Discomusik wenig, aber man geht auch nicht in die Diskothek, um etwas zu sagen oder sich sagen zu lassen. Und was die Discomusik verkündet- bevorzugt in Flüster- Raun-, Stöhn-, Ächz-, Betör- und Girr- Tonlagen-, ist bis zur Primitivität eindeutig. Liebe, Tanz, Sichgutfühlen oder einfach bloß „Boogie Ooogie Ooogie“ sind die vorherrschenden Singinhalte. Besonderer Beliebtheit erfreut sich bei Machern wie Publikum gerade eine Disco- Mixture aus slogan- artigen („Follow me“) und sado- masochistischen Paarungs- Anklängen, wie bei Amanda Lear. Und wenn es ernst wird, dann kommt nicht der gute alte „Starfucker“ der Rolling Stones, Disco schwört auf den „Automatik Lover“ und die „Lover Machine“. In Europa ist Amanda Lear schon beinahe ein Superstar. Das ehemalige Photomodell, dessen Geschlecht manchen nicht eindeutig erscheint- „L’Express“: „Diese nette Frau?... Ein verflixter kleiner Kerl“-, begeisterte mit einer ironisch- perversen Disco- Show soeben die Pariser. In einer Geisterszenerie aus Laserstrahlen, rauchenden Knallkörpern und künstlichem Nebel sang sie , in Tigerfell und Rockerleder gewandet, in diabolischem Bum- bum- bum Takt „Love me Baby, oh love me“ und, sollte das nicht klappen, von „Douce Veneance“, süßer Rache. Wie die Discomusik huldigt auch die Discomode in New York und Paris Glamour und Glitzer, Sado und Satin.
Wenn sich auch Modeschöpfer in New York und Paris bemühen, mit eigenen Kreationen dem Discofieber Tribut zu zollen, so ist doch die Discomode, wie sie in den großen Diskotheken zu sehen ist, von den Discophilen weitgehend selbst improvisiert. Die Modeindustrie liefert die extravaganten Teile zu, die dann wild arrangiert und kombiniert werden. Die Frauen- aber nicht nur sie- zeigen möglichst, was sie haben. Sie zwängen sich in Glitzerhosen, zu denen sie Pailletten- BHs tragen, oder in Vinyljeans und bedecken den Busen mit durchsichtigen Netzpullis. Wer die Beine dazu hat, begnügt sich mit Lurexshorts oder Boxerhosen und stolziert dabei auf Schuhen mit Stilettoabsätzen. Ausgesprochen beliebt sind „Catsuits“ und Bodystockings, ein schlichtes Kleidungsstück, das, von der Schulter bis zur Ferse gehend, den ganzen Körper in eine zweite Haut bedeckt. Dazu werden Schaft- und Satinstiefel getragen, die hoch bis zum Schenkel reichen. Übliche Accessoires sind Gürtel und Armbänder mit Phosphorstrahlung, die nur eine heiße Disconacht leuchten. Die Nasenflügel werden mit Straß verziert, Betuchte nehmen Brillanten, und wer auf sich hält, verbirgt sich hinter venezianischen Augenmasken, aus Plastik oder in mit Edlesteinen besetzter Luxusausführung. Die Discomode der Männer, sofern sie sich nicht vom Schmückeifer der Homosexuellen und Schwarzen anstecken lassen, gibt sich weniger schillernd. Es dominiert die Kombination Bluejeans, abgetragene Tennisschuhe mit Cashmere- Pullover oder simplem weißen T-Shirt. Gewagtere lassen sich in Stiefeln aus Schlangenleder und mit wagenradgroßen Damenhüten sehen. Als sehr exquisit gilt es, wenn zur vergammelten Jeans teure Glacéhandschuhe getragen werden oder wenn unter einem edlen Smokingjackett die Brust hemdfrei ist. Aufsehen erregte allerdings ein deutschstämmiger New Yorker Artdirector Mitte Vierzig, der durchs „Studio 54“ bloß im Jackett wandelte, das gerade noch sein blankes Gesäß bedeckte, ansonsten hatte er nur eine schwarze Fliege und Lederstiefel, die bis zum Oberschenkel reichten, an. Die Discomode ist wichtig für den Existenzkampf, den der Discophile jedes Mal vor der Tür des Tanzpalastes bestehen muß: Seine Kleidung kann entscheidend dafür sein, ob ihm der Türsteher einlässt oder nicht.
Je aufregender ein Einlassheischender sich kostümiert hat, um so größer sind die Chancen, ins Disco- Paradies zu kommen. Die Atmosphäre, das Image und nicht zuletzt auch das Renommee einer modernen Edel- Disco hängen zu einem Gutteil von der Exotik und der exzentrischen Ausdrucks- und Selbstdarstellung des Publikums ab. Das besteht, entgegen den Mystifikationen durch die Modejournale und Boulevardblätter, nur in geringem Maße aus Prominenten. Sie kommen eher zum Gaffen und kleiden sich, ob sie De Niro, Liza Minnelli, Andy Warhol oder Jackie Onassis heißen, als hätten sie die Diskothek mit einem Wohltätigkeitsball verwechselt. Die eigentlichen Exotischen in den Discos Manhattans sind gutbürgerliche Durchschnitts- New Yorker, die ob nun Anfang Zwanzig oder Fünfzig, für eine Samstagnacht aus dem Einerlei des Alltags steigen und sich mit oft unglaublicher Phantasie und Spielfreude neu gewanden, als wäre Karneval in Venedig und Federico Fellini auf einmal ihr Chef. Ganz anders noch, viel zahmer ist das Bild in Deutschlands erster „Studio 54“- Nachahmung, dem Münchner „Hendersen“, das seit einem halben Jahr in Betrieb ist. Dort löst sich der Disco- Narzissmus nicht lustvoll in faschingsbuntem Exhibitionismus auf, und ein zünftiger New Yorker Discophiler würde sicherlich für nicht unbedingt stimulierende Unruhe sorgen: Er würde fremdeln.
Das „Hendersen“ hat, um den New Yorker Vorbild nachzueifern, eine spektakuläre Lightshow installieren lassen, die fast 400 000 Mark kostete. An der Decke des Lokals, das maximal 600 Leuten fasst und mit Hochspannung arbeitet, rotieren Spiegelkugeln und sind 40 Transformatoren á 8000 Volt angebracht. Die exorbitante Stromspannung nährt Neonschlangen mit Blitzeffekten, bunte Scheinwerfer- Kreisel und Zitter- Spotlights, die eine Art Zeitlupe- Wirkung auf die Tanzszene übertragen und von Spiegelwänden mehrfach reflektiert werden. Auf der Tanzfläche wabern weiße Nebelschwaden, die durch Übergießen von Eis mit heißem Wasser erzeugt werden. In der Bayern- Disco halten sich die Männer, wie überall in Deutschlands wohlfeinen Tanzscheunen, schamhaft zurück. Das Tanzfeld ist überwiegend Mädchen überlassen. Einzeln und in Gruppen geben sie sich selbstversunken einem Discofieber hin, das bei manchem statt Entkrampfung eher Melancholie hervorzurufen scheint. Wenn Paare tanzen herrscht trotzdem zwischen ihnen eine Kommunikation auf Distanz vor, auch innige Berührungen sind unüblich, da jeder allein vor sich hintanzt. „Anmachen“ geht ohne Worte, nur mittels einschlägiger Hüftbewegung vor sich. Ins „Hendersen“ eingelassen werden Leute, so Besitzer Kirchhof, „die ich privat auf eine Party einladen würde- nur etwas großzügiger“. „Personality“ sollen sie schon haben und „verrückt angezogen“ sein. Vor der Tür spielen sich häufig Dramen verletzter Eitelkeit ab, wenn einer keine Gnade findet, in den Disco- Gral vordringen zu dürfen.
Ein Münchner Verhaltenstherapeut schickt gern Klienten zur Übung ihrer Psyche vors „Hendersen“- Tor. Neben einer Menge jungen Disco- Volk und Schickeria- Stammgästen- von Thurn und Taxis, Maximilian Schell, Ursula Andress und Disco- Queen Amanda Lear- zieht es auffallend viele Geschäftsleute in die Münchner Tanz- Hochburg. „Nach dem Essen kommen sie alle ins „Hendersen“, so Kirchhof, „um sich ihren Berufsstress abzutanzen“. Und „nach zweieinhalb Stunden sind sie dann so erschöpft, dass sie anschließend prima schlafen“. Die Lärm-, Licht- und Bewegungseuphorie, in die da jeder komme, das „Saturday Night Fever“, sei eine Art „ungefährliche Droge“. Kirchhof: „Manche kommen jede Nacht und wenn wir mal zuhaben werden sie krank.“. Durch Disco gesunden sollen bald auch die Hanseaten. Für zwei Millionen Mark entsteht in Hamburg zur Zeit (im Ex-„Kaisersaal“ an der Elmsbüttler Chaussee) eine Groß- Diskothek im Stil des New Yorker „Studio 54“. Die Hamburger Nachthöhle- Eröffnung voraussichtlich Ende dieses Jahres- , die ein Team führender amerikanischer Disco- Designer im Auftrag eines US- Firmenkonsortiums baut, soll eine Ton- und Licht- Maschinerie erhalten, deren Raffinement dem Manhattaner Vorbild in nichts nachsteht. Ähnlich Pompöses ist im Frankfurter Rhein- Main- Flughafen im Bau: eine „Action- Discothek“, die „Dorian Gray“ heißt, vom „Studio 54“ Ingenieur Richard Long ausgerüstet wird und mit spektakulären Multi- Media- Einrichtungen aufwartet- Wasserspiele, Videobeam- Wand, Lichtprojektion- Laserkanone. Die Deutschen werden wohl nicht mehr lange Disco für Kinderfernseh- Späßchen mit Ilja Richter halten. Bis es soweit ist, wird tüchtig geübt: Die Tanzschulen im Lande haben Hochkonjunktur. Wo früher meist Foxtrott und Tango eingepaukt wurden, lernt Deutschlands Disco- Generation jetzt Tanzfiguren, deren Namen aus der Turnstunde stammen könnten. John Travoltas „Nacht Fieber Gymnastik“ ahmen die Schüler unter Bezeichnungen wie „Schere“ und „Delfin-Rolle“ nach. Wenn die Figur „Gedränge“ angesagt ist, kommt auch ein Touch Erotik zur Geltung: Die Partner darf ihrem Jüngling kurz mal um den Hals fallen. Seit fast jeder 18- bis 28jährige, der auf populäre Musik hört, den „Nur Samstag Nacht“- Film gesehen hat, sind die 1100 Tanzschulen der Bundesrepublik auch wieder mit Jugendlichen voll belegt. Über eine Million Tanzwillige trainieren dort für die bevorstehende Disco- Mobilmachung- Boogie Ooogie Ooogie...
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