*26.07.1942 08.09.1994 Gedanken, Erinnerungen und Begebenheiten R. Scheps und dem Webmaster. (Fotos:© DAvP-Berlin, privat, J.Ziegler, M.H.) [Version 20.12.2022] Kurzbiographie |
Barry Graves (richtiger Name: Hans-Jürgen Deutschmann)21 wurde am 26.Juli 1942 in Jeßnitz (Anhalt) geboren. Er "kam 1964 als Stipendiat nach Berlin und studierte an der Freien Universität, Betriebswirtschaft, Soziologie und Publizistik. 1966/67 inszenierte er mit Studentengruppen die ersten psychedelischen Rock-Shows im deutschsprachigen Raum." 1968 kam Jürgen Deutschmann auf Grund folgender Begebenheit zum RIAS. Er schrieb einen mehrseitigen, zornigen Brief an den Sender und beschwerte sich über die schlechte Musikauswahl. Daraufhin bekam er die Chance, es besser zu machen. Und, er machte es besser! Nero Brandenburg: "Barry und ich waren 1968 Die "Einsteiger" beim RIAS zusammen mit Gregor Rottschalk, Kai Bloemer, Olaf Leitner, Lord Knud...".
Er legte seinen Namen ab und zwar so schnell, das einige später nicht mehr wussten wie sein eigentlicher Name war. Er ließ alles ändern, Ausweis, Türschild, Kreditkarte und begann als
Barry Graves, die Herzen der jungen Hörer zu erobern. In dieser Zeit wohnte er in der Berliner Obentrautstraße/Kreuzberg.
Schnell wurde sein Talent klar. Er konnte herrliche Geschichten erzählen wie kein anderer. Diese wiederum erzeugten im Kopf der Hörer Bilder. Man konnte die Augen schließen, dann sah man, was
er in seinen Geschichten meinte.
1969 bereits produzierte er experimentelle Radioserien „Zero Cool“ und „Brainstorm“, in denen Avantgarde-Literatur, Rock, Soundeffekte und elektronische Manipulation kombiniert
wurden. Graves bezeichnete das Konzept selbst als „multimedial“ 15
Bereits in seinen ersten Sendungen zeichnete sich ab, dass er alles nur
Mögliche einbringen würde. Barry war rastlos, er hetzte vom Studio in die Produktion um seine neuen Projekte und Visionen
zu verwirklichen und zu produzieren.
Der RIAS, der damals noch aus "Überzeugung" in Mono sendete weil er der Ansicht war, damit weiter
in die DDR hineinzureichen, stellte am 14.5.1975 (RIAS 2) und am 9.12.1978 (RIAS 1) auch auf Grund von Kunstkopfhörspielen sein
Programm auf Stereo um. Damit schaffte er die Grundlage für weitere aufwändige Produktionen, eine Chance die Barry Graves nutzte. Er erdachte Sendeformen, die es vorher im Radio nicht gab. Sein
Vorbild, das amerikanische Radio, schnell, unterhaltsam und populär. In den frühen 70ern produzierte er "die bislang einzigartigen Radioserien, die multimedial Avantgarde- Literatur, Rock,
Sound- Effekte und elektronische Manipulationen verband", 1 diese Features machten Graves bekannt. In einer Sendung "Die Barry Graves Show" vom
12.06.1974 über Bob Dylan wurde ein solches Feature gesendet. 1977 hatte Barry einen TV-Auftritt von Klaus Schulze im WDR moderiert. Ich bekam folgende Antwort auf meine Anfrage, warum ein
Titel Klaus Schulzes "For Barry Graves" heißt: "Später, nachdem Barry '94 verstarb, und da ich seine RIAS-Sendungen sehr mochte, habe ich diesen
Schulze-Titel vom WDR im Schulze-Set THE ULTIMATE EDITION veröffentlicht, und ihm diesen Titel gegeben, als nette Geste und kleines Andenken an Barry. 17
Ab ca 1980 produzierte er zusammen mit Rainer Czekalski (seinem wie er sagt: Lieblingstoningenieur) die Sendung "Graves Space", später umbenannt in " Graves bei Nacht". In diesen Sendungen (es wurden vermutlich über 70 Sendungen produziert) ging es jeweils um ein Thema. Die Sendung gliederte sich in zwei Teile, der Erste (55 Min) enthielt die eigentliche Sendung. Nach den Nachrichten lief dann "Die Suite", in der die Musik des Ersten Teils pur und teilweise ausgespielt wurde. In einer schier unbeschreiblichen Art ließ er uns teilhaben am Leben von Bette Midler oder James Dean (letzte RIAS Folge- 25.09.1985). 1993 holte die Deutschlandfunk Musikredakteurin Barbara Rüger, Barry Graves für einige größere Sendungen zurück zum RIAS (inzwischen Deutschlandfunk). Seine letzte große Sendung, Bette Midler- göttlich und verrückt (Produktion für Deutschlandfunk, April 1994).
Armin Amler erinnert sich: "Ja, weißt Du, das war auch ein Enthusiast, einer von denen, die mit ihrer Begeisterung für dieses Medium Geschichte machten. Ich habe viel mit Barry Graves an seinen Sendungen gearbeitet, und wir haben auch über vieles gesprochen. Wir schwebten in verschiedenen Sphären, aber es war stets ein freundliches Verhältnis." 2 Eines ist klar, er setzte Maßstäbe in der Radiolandschaft und verwendete frühzeitig Effekte, die bis dahin im deutschen Radio nicht zur Anwendung kamen. "Mich reizten schon immer technische Spielereien mit Knöpfen und Reglern in den Studios". Dabei arbeitete man doch noch "...mit Tonbandgerät und Klebestreifen." 14 So richtig technisch austoben kann er sich in der Sendereihe "Graves Space" und in seiner RIAS- Dance- Show "Studio 89". 11 Oft dauerte die aufwändige Produktion solcher Sendungen wie Graves Space drei Tage und mehr. Rainer Czekalski spricht sogar davon, diese Form der Radio Arbeit zusammen mit Graves erfunden zu haben! Bisweilen beschleicht mich das Gefühl beim hören einiger seiner Sendungen, Graves muss schon gewaltig exaltiert gewesen sein um so etwas zu produzieren. In seinen Sendungen machte er sein allumfassendes Wissen hörbar! (der Autor). Armin Amler über die Arbeit mit Barry Graves: "Nun, Barry war ja nicht nur Discjockey, sondern auch Reporter und Musikredakteur, und er hat ganze Shows zusammengesetzt, die einzelnen Teile mussten geschnitten und gemischt werden, es war so, das er vieles live sprach, aber andere, oft fast hörspielartige Segmente kamen vom Band, und die wurden oftmals tagelang zusammengeschnitten und zusammengesetzt, und in der Technik war man da oft sehr intensiv beschäftigt - stunden-, manchmal tagelang. Und das stand mir manchmal ins Haus". 2
Im "RIAS Treffpunkt", "Manhattan" oder "Rock over RIAS" Rias Treffpunkt mit Barry Graves hat er über Pop Musik geplaudert, ja doziert. Er stellte für die Hörer eine Bezugsperson vor dem Mikrofon dar, keine anonyme Blabla-Stimme, sondern eine Rundfunkpersönlichkeit. Sein breit gefächertes Insiderwissen kam ihm dabei ebenso zugute wie seine Reisen in seine "Zweite Heimat" New York. Dort hatte er in Greenwich Village (Greenwich Ave. Nr.55 Appartement 3) eine Wohnung, die er alle paar Monate nutzte. Da sog er die neuesten Musiktrends ein (Barry liebte Salsa, Tamla Motown, Donna Summer, Soul und alles, was sich mit Glamour umgab, besonders die Popmusik aus den USA), ging oft ins Kino, in Shows, in Discotheken und las allerhand Fachliteratur. Er kauft sich in den USA die neuesten Scheiben und den ersten tragbaren CD-Player. Fasziniert war er vom Glasklaren Sound dieses technischen Wunderwerkes. Später verkabelte er den Player mit dem Mischpult im Studio. Als einmal in sein Appartement eingebrochen wurde, ärgerte er sich vor allem, das seine Videokassetten geklaut wurden. New York war für Barry Graves eine Inspiration. Er war von der Stadt fasziniert und sie bot ihm immer wieder neuen Stoff für weitere Produktionen.
Er hatte die Voraussetzungen und das Wissen was nötig war, um für das erstmalig 1973 22 erschienene "Rocklexikon" zu schreiben. Schon länger als 1 Jahr arbeiteten und recherchierten Graves und der aus Thüringen stammende Siegfried Schmidt- Joos an dem noch heute gültigen Kompendium der Rock/Pop Musik. Joos (damals SPIEGEL- Redakteur) bekam das Angebot, ein Lexikon zu schreiben. Allein war das aber nicht zu realisieren, so suchte er einen Partner der kompetent ist, das Wissen hat und dieses auch in Schriftform umzusetzen vermag. Barry erfüllte all diese Anforderungen glänzend. Nach vorheriger Absprache schrieb zunächst jeder seinen Part um ihn dann vom Partner gegenlesen zu lassen. Wenn nötig, fand dann noch eine Korrektur-Ergänzung statt. Schon zwei Jahre später (1975) gab es die 2. überarbeitete Auflage. Kein späteres Buch über die populäre Musik, das dass Rocklexikon nicht im Quellenverzeichnis aufführte. Das Lexikon ist bis heute sehr erfolgreich und jeder Musikfan sollte es im Schrank stehen haben. Barry lag dieses Lexikon offensichtlich sehr am Herzen. Ein Hörer berichtete: "Einmal hat er (Anm.: Barry Graves) etwas verlost und sagte dann sinngemäß zu dem Hörer: "Du hast ein Rocklexikon gewonnen, ich darf nicht sagen von wem das ist, denn für seine eigenen Bücher soll man keine Reklame machen."
Barry tanzte stets auf verschiedenen Hochzeiten. Er schrieb ab ca 1971 für "Der Abend" (Anfänglich sogar noch unter seinem richtigen Namen bzw. Jürgen Deutschmann), die "Welt", "taz", "Zitty", die "Morgenpost", den "Tip", den "Tagesspiegel", die "Zeit", den "Stern" und den "Spiegel". Barry Graves war einer der besten Kenner der Berliner Kulturszene. In letzter Zeit öffneten einige Zeitschriften ihre Archive im Internet, es lohnt also, insbesondere beim "Spiegel" und die "Zeit" gelegentlich nach Graves Beiträgen zu suchen...
Zusammen mit Olaf Leitner, Walter Bachauer (1989), Burghard Rausch (Schlagzeug/Gesang "Bel Ami"), Uwe Wohlmacher und illustren Gästen brachten die Moderatoren den Hörern in lockerer Atmosphäre die Rockmusik näher. Auch diese Sendung wurde, wie manch andere auch ("See you later, Alligator"), von weiteren Sendern übernommen (NDR). Barry Graves war von Anfang an dabei! Er erfand die legendären "langen Nächte". Tausende blieben bis früh um vier am Radio. 3 1976/77 war auch Holly-Jane Rahlens dabei: "Barry war exzentrisch aber authentisch, ich habe ihn sehr gemocht; heute noch, fast 15 Jahre nach seinem Tod, werde ich wehmütig, wenn ich an ihn denke." 1978 zu den Filmfestspielen lernte Rik De Lisle Barry kennen. Rik konnte kaum ein Wort Deutsch und Barry Graves hat ihm später geholfen, im RIAS Fuß zu fassen. "Wir haben", so erinnert sich Rik, "1984 das erste Mal zusammen gearbeitet. Ich hatte damals ne Sendung "Rock mit Rik" und danach kam Barry mit "Country Time". Auch "Rock over RIAS" haben wir ein paar mal zusammen gemacht". 4
Graves rauchte nicht und trank keinen Alkohol (Pepsi light, Tonic, Bitter Lemmon). Auch versackte er nicht auf Partys. Er aß alles, was in die Mikrowelle passte. "Wenn ich zur Arbeit kam, hat er sich und mir (jeweils) einen NESCAFÉ mit kaltem Wasser in einem Becher aufgelöst und sie in der Mikrowelle erhitzt". 13 Der bekennende Lindenstraßenfan besaß keinen Führerschein und nahm das Taxi. Privat schottete er sich rigoros ab. Für außenstehende schien er unnahbar. Ein Grund dafür waren sicherlich seine sexuellen Neigungen, von denen nur wenige wussten.
Graves war Homosexuell, seine Locations waren "...bis Frühjahr 1975 die "S-Bahn-Quelle" am Savignyplatz 18", später die "Knolle", "Elli's - Bierbar" und das " Metropol" in Berlin. Hier traf man Barry gewöhnlich einige Zeit nach Mitternacht ohne Begleitung an. Zu bestimmten Terminen (z.B. während der Berlinale) konnte man damals dort gleichzeitig drei Größen des seinerzeitigen Kulturlebens entdecken: Rainer Werner Fassbinder, Rosa von Praunheim und Barry Graves.
Er trug meist Blue Jeans, kariertes Hemd (keine grellen Farben),
Turnschuhe und, falls es nicht zu warm dafür war, schwarze Lederjacke
oder sportliches Blouson. Im Vergleich zum Durchschnitt der Gäste dieser
Bars wirkte er zurückhaltend angezogen. Den Stil möchte ich als
amerikanisch-sportlich bezeichnen. "Meist blieb er einige Stunden. Gewöhnlich brach er allein auf. Heute finde ich bemerkenswert, dass er meines Wissens nie liiert war oder, wenn doch, dies für uns unsichtbar blieb. Ich
frage mich, ob er überhaupt ein intensiveres Privatleben hatte. In den Bars schien er nur harmlose Zerstreuung oder Entspannung zu suchen." "Der Inhalt der Gespräche war wenig tiefschürfend.
Er bezog sich häufig auf andere anwesende Gäste, die man "durchnahm". "Dabei war Barry witzig, auch etwas spitzzüngig. Beim Eintreffen erschien er
noch nachdenklich, in sich versunken. Doch traf er fast immer rasch
Freunde oder Bekannte, ging schnell auf sie zu und begann mit
ihnen zu plaudern, meist im Stehen, ausnahmsweise auf einem
Barhocker sitzend.
Auch ging er gelegentlich auf und ab, um sich
anderen zuzuwenden."18
Wenn die Moderatoren nach Sendungen wie "Rock over RIAS" noch einen trinken gingen, war Barry bereits verschwunden. "Private Kontakte gab es wohl zu Rainer Veidt..." 13
Lehnert: "Er war hochprofessionell, hochloyal und hochkompetent - scherzte mit Kollegen und flirtete auch schon mal mit Kolleginnen on Air, doch von seinem Privatleben wusste man so gut wie nichts."
Leitner: "Barry baute beharrlich, wenn auch unaufdringlich, an seinem Mythos. Er begann frühzeitig seinen Namen Jürgen Deutschmann zu tilgen und uns das Barry Graves einzubimsen." 12 Barry sah sich als Botschafter Amerikas, trug oft karierte Hemden, blaue Jeans, Turnschuhe und versuchte dem Image des Amerikaners zu entsprechen. Dieses Verhalten trug sicherlich maßgeblich zur Legende Barry Graves bei. Seine Selbsteinschätzung: "Das Herz auf dem rechten Fleck und ..."Ich glaube, selbst wenn ich manchmal im Radio wie ein Arschloch klinge, dass ich kein schlechter Mensch bin". Fehler ?: "In drei Sätzen gebrauche ich manchmal zu viele Fremdwörter. Ich möchte eigentlich mit meinen Sendungen Schüler und Arbeiter ansprechen, aber leider stelle ich meistens fest, dass ich nur Studenten erreiche..." 11 Trotzdem war er auch ein unbequemer Partner. Er war oft voreingenommen und speziell gegenüber dem Osten/Osthörer wahrlich nicht immer fair. Widerspruch ließ er nur selten zu. Er war sehr konsequent, selten kompromissbereit (z.B. wenn er der Meinung war, dass eine Sendeform zu anspruchslos ist), ein streitbarer Charakter, nur- er hatte meist Recht! "Leider gibt es viel zu viele Dilettanten in diesem Geschäft. Vielleicht wirke ich deshalb arrogant, weil ich viel lese und dadurch über ein größeres Musikwissen verfüge" 11 Graves war sehr fleißig und verdiente 'ne Menge Geld. Seine Platten besorgte er sich in New York und Berlin, wohl hauptsächlich bei WOM in der Augsburger Str. in Wertheim. Dort gab es auf Nachfrage auch die Playlist zur Sendung. Bei Griesbach neben dem alten Allianz Hauptsitz in der Joachimstaler soll er sich ebenfalls bedient haben.
Es gab später Zeiten, da liefen seine Sendungen parallel auf zwei Sendern. Die 12- teilige Serie "Der amerikanische Traum", mit dem Untertitel "Story's aus dem Land der Helden und Legenden" 1985 (Neun Teile wurden beim RIAS produziert/gesendet), wurde gar von anderen Radiostationen übernommen (Teil Sechs befasste sich mit "Coca Cola", Teil Neun mit "Wolkenkratzer", ein anderer mit "Disney"). Hier der Überblick
Besonders das RIAS- Discodrom vom 6.-12 August 1979 wurde zum Tummelplatz für Discofreaks. In einem Sieben Nächte Marathon jeweils von 23:00 bis 4:15 Uhr präsentierten Barry Graves, Siegfried Schmidt- Joos und Uwe Wohlmacher alles zum Thema Disco. Sie wollten alles auf den Plattentisch packen, was es zum Thema Disco gibt. Zu hören waren neben Ausschnitten populärer US-Discosender WBLS und WKTU auch Live- Besuche in New Yorks berühmtestem Disco-Dorado, dem "Studio 54". "Mehr als 35 Stunden können die Nachtschwärmer im Disco- Sound schwelgen und werden danach vielleicht todmüde und erschöpft sein, aber sie werden dann alles über ihre Leib- und Magen- Musik erfahren haben". 5 Dass Barry stets mehrgleisig fuhr, wurde schon erwähnt. So hatte er zu RIAS- Zeiten noch Sendungen wie "See you later, Alligator" (über 100 Sendungen), "Goodbye Ruby Tuesday", "Studio 89", "RIAS Country", "California", "Manhattan", "Kudamm", "RIAS Discothek" und "RIAS Discodrom". Graves produzierte eine zehnteilige Serie im RIAS "Elvis Presley - King" im Hörspielformat (Mai 1984). Er gestaltete den Dokumentarfilm "Die 24-Stunden-Stadt" 1984 (City around the Clock)(zusammen mit Waldemar Overkämping(); Bild links), in dem er die Berliner Underground- und Ausflipp Perspektive beschrieb. Ein Film mit dem er 1985 sogar auf den Berliner Filmfestspielen präsent war. Barry arbeitete an Fernsehspielen mit, machte Interviews, schrieb Filmkritiken und Bücher, eine Elvis Presley Biografie " Elvis - King der verlorenen Herzen" 1985 und den Roman "Vicky und Nicky" 1986 (Bild oben)(auch als 90 Min. Farbfilm 1986).
Barry
Graves berichtete über türkische Breakdancer ebenso kompetent wie über "androgyne Strömungen in der Populärkultur". Er schrieb über Donald Duck, Steven Spielberg und den Cotton Club in New York.
Graves hatte an mehreren Fernsehsendungen mitgewirkt (u.a. „Musik Extra 3“ im WDR). 15
Allein diese Vielseitigkeit zeigt die Bandbreite seines Wissens um die Rock und Popmusik. Graves schien auf diesem Gebiet Allwissend!
"See you later, Alligator" wurde schließlich nach über 100 Sendungen durch die Sendung "Goodbye Ruby Tuesday" ersetzt. Ging es in "Alligator..." um die Musik der 50er Jahre, so soll in "Goodbye..." der Sound der 60er aufgearbeitet werde. Bereits hier (1977-1980) wird langsam klar - Graves bereitet Sendungen vor, die das Wissen des Rocklexikon (1973) in eine Radioform bringen sollten. Es sollte eine pophistorische Sendereihe werden von der bereits einige produziert wurden. Leider kam es nicht mehr dazu.
Als im RIAS Programm die große Reform stattfand, hat er sich vehement gewehrt. Er setzte sich dafür ein, das einige der innovativen Sachen erhalten blieben. Rik De Lisle wurde 1985 Musik-Chef von rias2 als "Alibi-Ami". "Der Ami machte Betrieb. Unter De Lisle Führung wurde am 30.09.1985 das Programm von rias2 zum Ganztags-Musiksender aufgeblasen. Renommierte Kollegen wie Barry Graves, Olaf Leitner, Christian Graf verließen den ersten Berliner Dudelsender fluchtartig. De Lisle verteidigt sein Konzept vehement. Rundfunk müsse die Fähigkeit haben, sich den Hörergewohnheiten anzupassen, egal ob es den Kollegen gefällt." 9 Rias2 wurde dann unter der Leitung von Schiwy zur ganztägigen Pop-Welle umstrukturiert. Noch heute (2007) verteidigt Rik seine Reform, "wir machen Programm für die Hörer, nicht für die Mitarbeiter" *(*Gedächtnisprotokoll). Barry (als freier Autor/Mitarbeiter beim RIAS) wollte dabei nicht mehr mitmachen. Er hatte große Schwierigkeiten nach der Programmreform, es kam 1985 zum Streit. Er wurde von Prof. Herbert Kundler (RIAS- Programmchef, verstorben 19.10.2004) aus dem RIAS gefeuert. Zwei Tage vor der Reform lief sein letztes "Studio 89"!
Hinzu kam, das sich Barry gleichzeitig sehr für den ersten Berliner Kabelsender "B 1" zusammen mit "Generalintendant" Wolfgang Neuss , Lord Knud (Knud Kuntze), Holly Jane Rahlens, Ilja Richter, Jonas Ziegler (Bild links während der Sendung " Rock of the week" 1985), Waldemar Overkaemping ( verstorben 1991 ) und Heinz Jürgen Bernhard ( verstorben 2003) engagierte. Da wollte er sein "Studio 89" wieder aufleben lassen. Der Sender scheiterte nach ca. einem dreiviertel Jahr. Jonas Ziegler kennt den Grund: "Der Sender war halt nur im Kabel zu hören. Und wer hatte 1985/86 schon Kabel...? Autofahrer konnten uns ja auch nicht hören. Die Hörerschaft war schon recht übersichtlich." 10
"Ich muss ehrlich sagen das ich
auf den Privatfunk warte. Der Privatfunk in Deutschland muss ja nicht wie der amerikanische werden. Man könnte es ja wie in Großbritannien konzipieren. Beim öffentlich-rechtlichen wächst die
Verwaltung zu stark." 11 Barry wurde einmal gefragt, was für ihn Radio sei: "Radiomachen ist ganz einfach, links ein Plattenspieler, rechts ein
Plattenspieler, in der Mitte der Moderator!". Barry Graves moderierte Oktober 1986- April 1987 auf B-1.
Helmut Lehnert: Barry war für H. Lehnert ein Vorbild "...und plötzlich stand er in der Tür und fragte, Helmut ich würd' ganz gern für dich arbeiten?" 6 Ab 1987 setzte er seine bisher sehr erfolgreiche Sendereihe "Studio 89" (lief ca. sieben Jahre), unter dem Namen "Studio 92" (lief bis 1990) beim SFB 2 fort. Zitat: "Die Kultshow in den Berliner Radiostationen. Ein gewisser Barry Graves, seines Zeichens Amerikaner, flog des Öfteren nach New York, nahm die „Saturday Night Dance Party“ auf und führte sie 1 Woche später im RIAS auf. Dazu muss man wissen, das es in N.Y.C. 120 Radiostationen gibt. Das war einfach nur genial, in Europa leben und wissen was in der Welt für Sounds laufen." Auch beim SFB hatte Barry mehrere Sendungen, teils gleichzeitig. Da waren es "Stadtradio", "Soundcheck" und "Downtown". Sieben Jahre war er beim SFB, hat Talkshows gemacht und wurde dadurch geliebt oder gehasst. Nicht selten schmiss er Leute aus der Leitung, wenn er nicht deren Meinung war. Bericht eines Hörers: "Er konnte sich da oftmals richtig rein steigern, zum Beispiel als er einmal eine ganze Woche lang immer wieder über die Telekom gelästert hat und erklärt hat, dass es in Amerika viel besser sei und billiger zu telefonieren. Oder dass es mit der Deutschen Post wochenlang dauert, eine Zeitschrift aus USA zu abonnieren, wohingegen UPS nur zwei Tage braucht." ...und weiter: "Einmal dachte ich, ich hätte mich verhört, als er in einer seriösen Gesprächsrunde sagte: ... na der Ehmke von der SPD ist ja in Sachen Berlin-Frage sowieso der allergrößte Kotzbrocken"... Barry sagte auch einmal, " ...die verlogenen Autoverkäuferstimmen". 7 Scheinbar konnte er sich so etwas schon mal erlauben. Oft zog er über Behörden her, über Kollegen redete er jedoch nur selten. Ein gutes Verhältnis hatte er zu A.Caspary (Fritz, SFB2, Radio4U, Radio Eins), seine damalige Aufnahmeleiterin. Die ausgebildete Krankengymnastin hatte Barrys Aidserkrankung schon frühzeitig bemerkt. Barry lud Anja nebst Freund oft in seine Wohnung ein. "Absolut aufgeräumte Wohnung, in der Küche kein Krümel" 21
Bis zu einem gewissen Punkt konnten und wollten die Programmchefs ihn noch decken. Es kam vor, erinnert sich Lehnert (Bild links): "...das er mir vorschrieb, wie ich Radio zu machen hätte". 6 Einmal abends hat er ganz Berlin und Brandenburg sehr geärgert und genervt. Er hat es bis auf die Spitze getrieben. Das ging so weit, das sogar Hörerinnen am Telefon geweint haben. Helmut Lehnert (Chef Radio4U und Fritz): "Da hab ich ihn mir dann zur Brust genommen und bin mit Ihm Kaffee trinken gegangen in ein Berliner Kaffee. Ich hatte Schwierigkeiten weil ich dachte, das lässt er sich einfach nicht gefallen wenn ich mit ihm darüber rede und er wird mich wieder von vorne bis hinten mit seinem Mundwerk einseifen. Er konnte eine halbe Stunde ohne Punkt und Komma reden. Ich habe ihn auch reden lassen und habe danach zwei bis drei Sachen dazu gesagt und dann hat er gesagt: Helmut du hast recht, ich werd es nie wieder tun." 6 Das hat ihn (Lehnert) sehr beeindruckt und weiter: "Ich hatte in den letzten drei Jahren regelmäßig noch Kontakt über Fax. Obwohl sie zwischen Intelligenz, Unverschämtheit und Humor schwankten. Das ging immer rauf und runter war aber immer brillant formuliert". 6 "Ich bewundere nur eine Kollegin beim SFB, und zwar Juliane Bartel ( 3.4.1998) vom SFB- Zeitfunk. Diese Frau ist Rundfunk, sie ist lebendig, das imponiert mir". 11
1990 wurde eine Jugendwelle beim SFB gegründet, Radio 4U und Barry war wieder mit dabei. Zum einen setzte er seine "Studio 89" Sendung unter dem Namen "The Big Beat" fort, zum anderen füllte er gleichzeitig seinen Programmplaner mit Sendungen wie "Vier nach Elf", "Vier vor Zwölf" und "Kaminsky4".
In diesem Jahr war er auch "...der erste, der in seinen Radiosendungen „Tekkno“ präsentierte. Ohne seine speziellen Features hätte es die von Berlin ausgehende „Technobewegung“ wahrscheinlich gar nicht gegeben". 20 Er hat Techno als eine verheißungsvolle Entwicklung angesehen, die dann aber offensichtlich zusehends kommerzialisierte und verflachte, so dass seine anfängliche Begeisterung für diese neue Strömung (denn alles neue faszinierte ihn) wohl in Enttäuschung umschlug. In der Sat 1 Sendung "Einspruch (17.05.1994", hatte er sich dazu auch einmal Luft gemacht. Sein gespaltenes Verhältnis zu dieser Musikform äußerte sich auch wenn er dann in seiner Sendung von einer "Künstlerin, die hier arbeitet, die ich nicht näher nennen will" 8 redete und Marusha, die damals einen Riesenhit mit "Somewhere Over The Rainbow" hatte, meinte. Er fand das Stück grottenschlecht und eine Verhunzung des Originals von Judy Garland. Auch sonst hat er, auch mit negativen Meinungen nicht hinterm Berg gehalten. So beschwerte er sich über die vorsintflutliche Telefonanlage bei 4U. Barry war sehr gewissenhaft, seine Moderqationen hatte er in Klarsichthüllen verstaut.
Obwohl Radio 4U nicht
besonders teuer in der Unterhaltung, jedoch recht erfolgreich war, stellte der SFB die Welle Ende 1992 aus Gründen der Zusammenlegung zweier Jugendsender ein.
Graves war mit seiner letzten Sendung "Vier vor Zwölf" am 31.12.1992 bis
12 Uhr on Air.
Ab 1992 (bis 1994) moderierte er bei Radio B2 Sendungen wie "Radio Rock'n Roll" und "Nachtclub". Im März 1993 dann Barry's letzte Radiostation:
Wenn er so vor dem Mikrofon saß, die Lesebrille immer weit vorn, hatte er oft ein uraltes Schulheft mit Notizen dabei. Manchmal schien er richtig schüchtern zu sein. Zumindest wirkte er gelegentlich so. "An dieses kleine Notizheft erinnere ich mich dunkel, weiß aber nicht, was drin stand." 13 Natürlich spielte er in seiner Dance- Sendung, die nach Studio 92 auf SFB dann als Big Beat am Freitag (bei Radio4U) und später Soundgarden am Freitag (bei Fritz) fortgeführt wurde, auch nur die Dance- und Clubmusik, die er für bedeutsam fand. Er war, wie bereits erwähnt sehr konsequent bei der Umsetzung seiner Vorstellungen und hätte es niemals zugelassen, dass andere Leute oder gar ein Computer die Musikauswahl bestimmt, und ging sogar den Programmchefs mit seinen Ansichten, Programm zu machen, auf die Nerven.
Scheinbar hatte Barry als ehemaliger Dance Guru zunehmend Probleme sich von der Musik zu lösen, die er von Beginn seiner Radioarbeit spielte und liebte. Die Zeit hatte sich gewandelt, es waren die 90'er, neue Musikstile entwickelten sich, die Mauer war gefallen, plötzlich war Berlin der Mittelpunkt der Welt und Barry geriet zunehmend in die Enge. Dies machte sich im teils hörbaren Frust bemerkbar. Man könnte meinen, er hielt nicht mit der Zeit Schritt. Er wirkte zunehmend verbittert und frustriert, ja teils peinlich. Dies schädigte am Ende leider seinen Ruf als Moderator erheblich!
Barry war wohl nicht sehr beliebt bei Fritz, weil er seine Mixe spielen wollte und seine Show so gestalten wollte wie er es für richtig hielt. Die Mitarbeiter wollten ihn loswerden, er muss es da nicht leicht gehabt haben. So die übereinstimmende Meinung aus zwei Mails unterschiedlicher Herkunft. André aus Berlin schrieb mir 2004 Beispielsweise: "Ich habe BG noch kennen lernen dürfen und “live” in seiner letzten verbitterten Phase erlebt."
Unbestritten, Graves war ein Pionier auf dem Gebiet Radioarbeit. Menschlich jedoch versagte er oft, letztendlich zu oft. Das brachte ihm selbst negative Kritiken ein. Das hier war nicht mehr der unbeschwert plaudernde Barry Graves von vor 15 oder 20 Jahren. Ob es am Ausbruch der Krankheit lag sei dahingestellt. Bei Fritz hatte er Mittwochs noch die Sendung "Blue Moon" mit der er sich am 8.Juni 1994 vom Radio verabschiedete. Ein Hörer: "Ich finde in der letzten Sendung hörte er sich auch nicht mehr so gut an, deswegen ging die Sendung mit ihm wohl auch nur eine Stunde". Der wahre Grund war, das er im Studio schweißgebadet zusammenbrach.
Er schickte noch eine letzte Nachricht: "Leute, alles in Ordnung, aber lasst mir jetzt ein bisschen Zeit". Dann war er nirgends mehr zu erreichen, auch in seiner Berliner Altbauwohnung in der Bundesallee nicht. Helmut Lehnert bemühte sich vergeblich um Kontakt. "Wenn man ihm sonst etwas auf den AB sprach oder faxte, meldete Barry sich, sobald er konnte. Aber nun kam nichts mehr. Das nächste, was ich von ihm hörte, war die Todesmeldung".6 Seine Krankheit hatte ihm stark zugesetzt. Er nahm Urlaub, von dem er nie mehr wiederkehrte.
Damals hieß es auch ganz klar (in einer Absprache), dass nicht gesagt werden sollte, woran Barry gestorben ist, weil er es so gewollt hätte. Jahrelang hielt ich (Webmaster) mich daran, doch heute, nach über 27 Jahren finde ich es an der Zeit es hier zu erwähnen (noch dazu, wo es in Zeitungsartikeln, Radiosendungen und Foren Erwähnung findet).
Barry Graves war schwul und starb an Aids. Ausgerechnet in einer Zeit, da die Radiolandschaft in Deutschland inhaltlich dünner zu werden begann musste er uns verlassen. Armin Amler zu Barry's Tod: "Also, der Barry hatte gerade erst mal richtig angefangen, als er starb - aufgrund seines eigenen Lebensstils" 2 Olaf Leitner meint: "Die Stadt hat einen weltgewandten, wunderbar exaltierten Kultur- Journalisten weniger. Weiß sie, wen sie da verloren hat?" 16 und Rik DeLisle sagt zum Abschied: "Seine Stimme wird uns fehlen!"
Ich wäre noch gerne
bei Euch geblieben
doch, wo das Leben
keine Kraft mehr hat
ist der Tod eine Erlösung
Nach Barry's Tod wurde seine komplette Plattensammlung von seinen Eltern verkauft. Nach meinen Informationen an den SFB, der alles aufkaufte. Zehn Jahre nach Barry's Tod gab es 2004 eine
Gedenkfete in der Berliner "Brotfabrik", bei der auch Uwe Wohlmacher und Olaf Leitner zugegen waren. Es wurden Feature-Teile und ein Film aufgeführt, Ausschnitte aus seinem Buch vorgelesen und
ein Ölbild zur Versteigerung angeboten.
Er hinterließ eine Schwester und sie hat drei Kinder, Sabrina, Verena und Dennis.
Seine Eltern sind höchstwahrscheinlich ebenfalls tot (bin noch am
recherchieren).
Weitere Infos: B1 | Barry Graves | Bücher
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