Studio 89

Das Original

"Das ist das einzige Radioprogramm mit Garantie. Es gibt keine heißere Show! Wenn es eine gäbe, würden wir unsere einstellen"(B.Graves)
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Kai Bloemer

„Die Stones spielen auf dem Dach von Springer!“

Ein verhängnisvoller Scherz sorgt für Unruhe in der DDR

Kai Bloemer kommt 1969 als fester freier Mitarbeiter zum RIAS, dem Rundfunk im amerikanischen Sektor. Er ist zu diesem Zeitpunkt mit 21 Jahren der jüngste Sprecher im Team und moderiert verschiedene Sendungen, so den „RIAS-Plattenteller“, die „Rundschau am Morgen“ oder den legendären „RIAS-Treffpunkt“.

Der Treffpunkt ist vor allem wegen seiner Beatmusik bei der DDR-Jugend außerordentlich populär. Berühmt wird Kai Bloemer durch eine Moderation Ende September 1969, als er einen Auftritt der Rolling Stones auf dem Dach des Axel-Springer-Hochhauses für den 7. Oktober ankündigt, pünktlich zum 20. Jahrestag der DDR. Die jungen Hörer sind elektrisiert: Ein Dachkonzert nach dem Vorbild der Beatles? Ein Gig direkt an der Mauer in Hör- und Sichtweite der Menschen im Herzen Ostberlins?

Es ist ein Scherz, der umgehend vom RIAS korrigiert wird, dennoch schlägt die Nachricht im Osten Deutschlands ein wie eine Bombe. Tausende Stones-Fans machen sich auf den Weg in die Hauptstadt der Republik. Sie werden von Polizei und Stasi erwartet, die eine Störung der offiziellen Feierlichkeiten befürchten. An der damaligen Brache der Leipziger Straße nahe dem Springer-Hochhaus und an der Fischerinsel kommt es zu Rangeleien zwischen den Sympathisanten und der Polizei. 383 meist Jugendliche werden vor Ort verhaftet, weitere 621 erkennungsdienstlich behandelt. Viele von ihnen werden anschließend strafrechtlich verfolgt und bestraft. Es ist ein launiger Scherz mit erheblichen Folgen.

Kai in der SchulzeitDoch wer ist Kai Bloemer? Kai Bloemer wird am 10. November 1947 als Sohn des Arztes Klaus Bloemer und dessen Frau Eva Bloemer, einer Schauspielerin, in Berlin geboren. Zunächst wächst er im Westteil der vom Krieg schwer gezeichneten Stadt auf, wo Adenauers Rheinischer Kapitalismus und Erhards Wirtschaftswunder noch nicht so recht ankommen. In den darauffolgenden Jahren folgt er seinem Vater in die USA, der seit 1962 am Generalkonsulat in Chicago tätig ist und später zum außenpolitischen Berater von CSU-Chef Franz Josef Strauß avanciert. Das politische Arbeitsumfeld des Vaters verlangt Mitte der sechziger Jahre nach einem erneuten Ortswechsel. So verschlägt es Kai Bloemer wieder nach Deutschland. In der damaligen Bundeshauptstadt Bonn besucht er das Heinrich-Hertz-Gymnasium und ist wegen seines schrägen Humors ein geschätzter Mitschüler. In einer Bar nahe des Bonner Bahnhofs legt er mehrfach wöchentlich Platten auf und wird so einer der ersten deutschen DJs. Er bekommt die neuesten Scheiben gratis von den Plattenfirmen und präsentiert bei Auftritten erfolgreich ein Playback des populären Songs „What’s New Pussycat?“ aus dem Film „Was gibt’s Neues, Pussy?“.

Als Radiomann macht sich Kai Bloemer schon Mitte der 1960er Jahre während seiner HighSchool-Zeit in Evanston (US-Staat Illinois) einen Namen. Bei den Sendern WEAW und WNUR moderiert er als Gastschüler Sendungen in englischer Sprache. 1968 heuert er als Volontär bei German Television News in seiner Geburtsstadt Berlin an. Beim RIAS produziert er ab 1969 eigene Sendungen, arbeitet in Redaktionen wie dem „aktuellen Zeitgeschehen“, dem „Jugendfunk“ und präsentiert sich außerdem als Sprecher, Autor und Reporter. In den siebziger Jahren wohnt Kai Bloemer in der Danckelmannstraße 30 nahe dem Lietzensee. So trifft man ihn öfter in der näheren Charlottenburger Umgebung, beispielsweise beim Jugoslawen Jovan in der Schillerstraße 73. Neben der Radiotätigkeit gewinnt Kai Bloemers Ruhm durch seine Arbeit als DJ in Rolf Edens Disco „Big Eden“ an Fahrt. Taxifahrer schätzen ihn, denn er nimmt die Droschke selbst für kürzeste Strecken im damaligen West-Berlin.

Im Jahr 1976 ertönt dann letztmals sein Slogan „Bye, bye – Euer Kai“ aus den Lautsprechern der Radiogeräte. Bloemer im StudioBloemer verlässt den RIAS und geht als Hospitant in das schweizerische Bern zum Deutschen Depeschen Dienst. Später findet er als Redakteur beim Berner Tagblatt eine Festanstellung in abteilungsübergreifenden Ressorts. Nach einem weiteren Zwischenstopp in München kommt er Anfang der achtziger Jahre zur Bonner Zentralredaktion des Nachrichtendienstes Reuters. Er besitzt gute Kontakte in die Politik, so auch zum Berliner Innensenator Heinrich Lummer (CDU, 1981–1986). Als freiberuflicher Journalist berichtet er später für die Welt am Sonntag, als Korrespondent für RTL und pflegt eine enge Zusammenarbeit mit namhaften Airlines. Als Reisejournalist arbeitet er international für die Zeitschriften Manager Magazin, den Spiegel, das Kempinski Magazine und das Pan Am Magazine. Seine Reiseberichte finden wiederum Verwertungen im Hörfunk, unter anderem beim Deutschlandradio in Berlin. Die bewegten Zeiten der politischen Wende in Deutschland erlebt Kai Bloemer unter anderem in Hong Kong, wo er über die Hotelsituation berichtet.

Den Tag des Mauerfalls verfolgt er vorm Fernseher in einem Hotel in Toronto. Im Jahr 2002 will der weit gereiste Moderator nun auch die damaligen Hörer seiner Sendungen in der ehemaligen DDR kennenlernen. Bloemer, der bis zur Wendezeit wegen seiner Arbeit beim RIAS nie in die neuen Bundesländer einreisen durfte, trifft nun seine Fans auf dem Ostberliner Alexanderplatz. Es finden bewegende Begegnungen der älter gewordenen Fans mit der Radiolegende statt. Dass die Rolling Stones am 7. Oktober 1969 dann doch nicht auf dem Dach des Springerhochhauses gespielt haben, ja, nicht einmal in Deutschland waren, das hat dem Moderator 33 Jahre später niemand übel genommen.

Kai Bloemer stirbt am 20. September 2009 im Alter von 61 Jahren in einem Berliner Krankenhaus und wird einige Wochen später anonym auf dem Waldfriedhof Heerstraße bestattet.

Quelle © 2020, Text und Bilder: Torsten Haak, https://www.derwortfinder.de


RIAS-Star will seine Fans kennen lernen

BERLIN - Die verbotenen Früchte schmecken am leckersten. So war es auch zu DDR-Zeiten mit dem Radiosender RIAS. Von der Regierung verpönt, wurde er doch heimlich von Millionen gehört. Die Moderatoren hatten auch hinter der Mauer eine riesige Fan-Gemeinde.
Kai Bloemer, einer der ehemaligen RIAS-Stars, will jetzt seine Fans kennen lernen. "Bye, bye - Euer Kai", so hatte sich Kai Bloemer mehr als 1000 Mal von seinen treuen Hörern verabschiedet. Der jüngste Radio-Moderator Deutschlands (er kam mit 22 aus den USA) machte von 1969 bis 1977 neben vielen anderen Sendungen mittwochs und sonnabends "Treffpunkt". Von 16 bis 18 Uhr gingen dort Rock und Pop aus den USA und Großbritannien über den Äther, aber auch Nachrichten . Sonnabends aber wurde weniger geredet - zu Gunsten der Musik. "Diesen ,Treffpunkt' haben wir extra für unsere Hörer im Osten gemacht", sagt Kai Bloemer, der heute als freier Reisejournalist um die Welt düst. "Wenn ich die Beach Boys, die Kinks, die Rolling Stones, oder die Beatles ankündigte, wurden dort Hunderttausende Tonbandgeräte gestartet. " Obwohl Bloemer nie in der DDR war - er bekam als Mitarbeiter des "amerikanischen Hetzsenders" keine Einreise - kannte er seine Fans. "Wir haben jede Woche zwei Deck-Adressen durchgegeben. " Und so gingen die Briefe für Kai Bloemer eben an Erna Müller in der Paulsborner Straße. "Natürlich hörte die Stasi mit, fing wäschekörbeweise Post ab, genau so viel kam aber durch. " So erfuhr Kai Bloemer von den Musik- oder Grußwünschen, die er mit Decknamen Sendung prompt erfüllte: "Mick Jagger, der 28. , aus Prenzlauer Berg grüßt alle Freunde in Marzahn". Doch persönlich kennen gelernt hat Bloemer seine Hörer erst nach dem Mauerfall, den er vorm Fernseher in einem Hotel in Toronto erlebte. "Ich habe geheult, weil ich so weit weg war. " Wenn er heute im Osten unterwegs ist, kommt es oft vor, dass er gefragt wird: Sind Sie etwa der Bloemer vom RIAS? Jetzt will er seine Fans treffen. Wer dazu Lust hat, schreibt bitte an den Kurier, Karl-Liebknecht-Straße 29, 10178 Berlin oder berliner-kurier@berlinonline. de, Kennwort: "Kai".

Anka Seyfert Quelle: "Berliner Kurier Samstag, 25. Mai 2002
Von einem Konzert, das nie stattfand

Die "Rolling Stones" zum Republikgeburtstag (MDR)

Zum 20. Geburtstag der DDR sollten die Rolling Stones in West-Berlin ein Konzert geben. Die Fans waren elektrisiert, die Stasi auch. Ende September 1969 kündigte der "Rundfunk im Amerikanischen Sektor", kurz RIAS, eine vermeintliche Sensation an. In der Nachmittagssendung "Treffpunkt", die bei den Jugendlichen in Ost-Berlin wegen ihres Beatmusikangebots sehr beliebt war, sagte der Moderator Kai Bloemer, dass am 7. Oktober, anlässlich des 20. Jahrestags der DDR, die Rolling Stones in Westberlin ein Konzert geben werden. Um 20 Uhr auf dem Dach des "Springer"-Hochhauses. Extra für die Stones-Fans im Osten. Die Nachricht klang für viele Stones-Fans im Osten durchaus glaubwürdig. Denn das "Springer"-Verlagshaus schien tatsächlich wie geschaffen für ein solches Konzert. Es stand direkt an der Mauer in Kreuzberg, unweit des Checkpoint Charlie. Auf der anderen Seite, in Ost-Berlin, befand sich seit dem Zweiten Weltkrieg eine große Brache, auf der Zehntausende Fans mühelos hätten Platz finden können. Und dass Verleger Axel Springer jede Möglichkeit nutzen würde, um in den Osten hineinzuwirken, glaubten viele Ostdeutsche. Ein Gag mit Folgen Die sensationelle Nachricht verbreitete sich jedenfalls wie ein Lauffeuer, zunächst im Ostteil der Stadt, schließlich gelangte sie auch bis in den hintersten Winkel der DDR. Es kursierten sogar Flugblätter, die das Konzert ankündigten: "Am 7. Oktober vor dem Springer-Hochhaus. Es spielen die Rolling Stones." Für die Fans der britischen Rockband, die in der DDR als die Inkarnation des Bösen galt und deren Musik seit 1965 nicht mehr öffentlich gespielt werden durfte, gab es jetzt nur noch eines: Auf zum "Springer"-Hochhaus!

Dabei: Es war alles nur ein Jux des RIAS-Moderators Kai Bloemer gewesen. Was er damit in der DDR anrichtete, hatte er sich freilich nicht ausmalen können ... Stones-Fans in Ost-Berlin Denn nicht nur die Stones-Fans in der DDR waren wie elektrisiert, auch die Stasi nahm die Ankündigung des Konzerts sehr ernst. Das Gebiet um das Springer-Hochhaus sollte am 7. Oktober weiträumig abgesperrt und verhindert werden, dass Stones-Fans aus den Bezirken nach Berlin reisen. Jugendliche mit "dekadentem" Aussehen sollten bereits in den Wochen vor dem Republikgeburtstag überwacht werden. Auch als die Staatssicherheit schließlich herausfand, dass über "ein Auftreten der Rolling Stones in Westberlin im Oktober nichts bekannt ist" und "Beobachtungen in der Umgebung des Springer-Hochhauses keinerlei Anzeichen auf Vorbereitungen für den Aufbau einer Bühne" ergaben, blieben die Sicherheitsorgane doch in Alarmbereitschaft. Stellten doch bereits die zu erwartenden Beatfans eine ernste Bedrohung der offiziellen Feierlichkeiten zum Republikgeburtstag dar.   Dennoch konnte die Staatssicherheit nicht verhindern, dass trotz Überwachungen und eines großen Polizeiaufgebots auf den Ostberliner Bahnhöfen Tausende Stones-Fans aus Berlin und allen Teilen der Republik am Nachmittag des 7. Oktober 1969 ins Zentrum der Hauptstadt der DDR strömten, um ihre Idole live zu erleben. Sie bewegten sich in kleinen Gruppen Richtung Mauer und waren leicht auszumachen: Sie trugen Jeans und - gemessen am damaligen Standard – lange Haare.

P.S. Kai war wohl Alkoholkrank und ist leider September 2009 verstorben. Er wurde am 12.10.09 auf dem Friedhof in der Heerstraße beigesetzt.

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