von Barry Graves
Mit "Magier der Erde" stellte das Centre Pompidou im Sommer die Mischformen vor, die sich weltweit aus lokalen Traditionen und westlichen Kultureinflüssen entwickelt haben. In der Musikszene zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Das Schlagwort hierfür: "World Music"
Ridley Scott ließ in seinem film noir "Blade Runner" das Sprachen und Menschenchaos, eines globalen Dorfes aus dem Jahre 2019 entstehen: Ein Babel der vergammelten High Tech Konfusion, als sei der Times Square nach Tokio verlegt, die Bronx mit Brasilia gekreuzt worden. Den Soundtrack schrieb Vangelis 1982 noch in konventioneller Synthi Pop Manier. Sieben Jahre später müßte Regisseur Scott keinen Komponisten mehr bemühen. Ein Griff in die "World Music" Section jedes besseren Plattenladens würde ihm den erforderlichen babylonischen Klangwirrwarr und Kulturmischmasch liefern. Keine Zukunftsmusik wird geboten, sondern der Soundtrack unseres Alltagslebens im transkontinentalen Medien Overkill.
Sahara Derwische wiegen zum Klang der elektronischen Bongotrommel, die aus einem Studio in der Bronx per Satellitenschaltung zugespielt wird, Straßengangs in den Vororten von Lagos sprühen Rap Graffiti Sprüche auf vorbeifahrende Touristenbusse und tanzen sich in heißen Nächten zu James Brown- Musik die hungrige Seele aus dem Leib. In thailändischen Dschungeldörfern möchten junge Mädchen so aussehen wie Madonna; vor den, Lehmhütten der Sahelzone lärmt ein Ghetto Blaster mit der Prince Musik aus "Batman", in einer norddeutschen Yuppie-Disco singt ein Frauenchor aus Bulgarien archaische Erntedanklieder, ein brasilianischer Voodoo Chansonnier gibt vor den Bankern der Wall Street ein Mittagskonzert, ein Bänkelsänger aus Köln, der Road Manager bei Bob Dylan und Monteur in der Türkei war, klagt zum traditionellen Klang der Saz und zum hypermodernen Sound des Synthesizer den Blues des ruhelosen Wanderers zwischen den musikalischen Welten, auf dem "anatolischen Highway" ins Nirgendwo.
Dieser Eklektizismus der kühn verschnittenen Pop und Folkloretraditionen kennt keine Tabus mehr. Die transkulturellen Variationsmöglichkeiten in immer abenteuerlicherer Mischung scheinen stilistisch wie geografisch unbegrenzt. Ist das nun endlich die "one world" der friedlichen Klangfarben Koexistenz, von der pazifistische Schwärmer immer träumten? Oder sind das nur die "United Colours of Benetton", ein modischer Amüsier Gag, nachdem Rock, Rap und Reggae der westlichen Konsumjugend keine Kicks mehr geben können?
Die Ethno Welle ist
keineswegs nur eine Erfindung der Zeitgeist Magazine, sondern das Ergebnis
einer Auflösung traditioneller Strukturen der verschiedenen Weltkulturen,
das Resultat einer durch moderne Massenmedien forcierten Konfrontation
überlieferter, isolierter Kulturäußerungen mit westlichem Entertainment, vor
allem den anglo amerikanischen Pop Rhythmen. Überraschend: Die naive Folklore
traf den ausgekochten Rock und ging dabei nicht unter. Im Gegenteil: Aus der
Melange von afrikanischer Yoruba Musik, iberischer Gitarrentradition und
amerikanischem Jazz ist zum Beispiel in Brasilien die zur Zeit vitalste
populäre Musikkultur entstanden, lange bevor Lambada auch bei uns als
Modetanz ausgerufen wurde. "Weltmusik", schreibt der ehemalige Jazzpapst
Joachim Ernst Berendt, ist der musikalische Entwurf einer Utopie. Keine
Utopie ist je realisiert worden, aber alle Utopien von Plato über Swift bis
Bloch sind Visionen des Überlebens."
In dem Sinne ist Weltmusik der Trommelschlag des globalen Dorfes, der
Stammesruf der verwirrten Weltbürger, die sich jenseits aller früher
möglichen Kirchturmspolitik um das Ozonloch über der Antarktis und die
geplünderten Grünzonen Südamerikas genauso sorgen müssen wie über die
Emissionen der Braunkohlekraftwerke Mitteldeutschlands. World Music" ist die
Idee der globalen Brüderschaft nach Noten.
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